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Wer kennt ihn nicht den Spruch: Ein Dorf, einhundert Einwohner, zwei Kneipen. In Beuster lautet der Spruch anders: Ein Dorf, fünfhundert Einwohner, zwei Kirchen. Ob die Beusteraner nun frommer sind als andere, mag ich nicht zu beurteilen. Aber beide Kirchen haben ihre Berechtigung und dies erklärt sich anhand der Geschichte und der Geografie.

Im Jahr 1134 erhielt Albrecht der Bär vom Kaiser Lothar III. das Lehen an der Altmark für seine Verdienste bei einem Italienfeldzug. Dreizehn Jahre später konnten die östlich der Elbe gelegenen slawischen Gebiete einschließlich der Bistümer Havelberg und Brandenburg im Wendenkreuzzug zurückerobert werden. Albrecht verstand sich offensichtlich recht gut mit dem Slawenfürsten Heinrich-Pribislaw, der wie sein Name vermuten lässt, bereits christlichen Glaubens war. Als Heinrich-Pribislaw 1150 stirbt, setzt er Albrecht als seinen Erben ein. Nun herrscht Albrecht sowohl westlich als auch östlich der Elbe. Die Elbe verliert ihre Aufgabe als Grenzfluss, bildet aber immer noch die Grenze zwischen den Bistümern Verden und Havelberg. Vermutlich gab es bereits eine kleine Siedlung. Es soll ein sogenannter Rundling gewesen sein, was dafür spricht, dass hier Slawen ansässig waren. Die ständigen Auseinandersetzungen zwischen Slawen und Sachsen führten dazu, dass viele Sachsen die Gegend verließen. So warb Albrecht in Flandern und Holland Siedler an, die sich im Deichbau verstanden und den sumpfigen aber fruchtbaren Boden der Wische urbar machen konnten.

Ungefähr zu dieser Zeit beginnt der Bau der Kirche auf der westlichen Seite der Elbe, durch die hier eine Furt und eine Handelsstraße verliefen. Die Edlen Gänse zu Putlitz waren wohl die Stifter der Kirche. Der etwas seltsam anmutende Name der Adelsfamilie geht auf einen Ritter Johannes zurück, der im altmärkischen Dorf Pollitz eine Gänseburg als Anwesen besaß und dort eine Gänsezucht betrieb. Dieser Ritter trug in Anlehnung seines Besitzes den Namen Gans. Im Zuge der Eroberung der ostelbischen Gebiete wurden die Gänse zu Putlitz mit umfangreichen Gebieten in der heutigen Prignitz belehnt und gründeten solche Städte wie Perleberg, Wittenberge und eben auch Putlitz. Den Beinamen Gans behielten alle Nachfahren dieser Familie. So gab es Gans zu Wittenberge und Gans zu Perleberg und den stärksten Familienzweig die Herren Gänse zu Putlitz. 

Der Bau der Kirche beginnt eigentlich recht klassisch mit dem Chor und der Apsis. Aber etwas ist ungewöhnlich. Der Baustoff ist Backstein. Backstein ist ein zu dieser Zeit in dieser Gegend recht außergewöhnlicher Baustoff. Die Backsteinbaukunst kam mit Handwerkern aus Italien nach Sachsen. Leider ist kein Weihedatum der Kirche bekannt, aber die Stellung als älteste Backsteinkirche nördlich der Alpen ist ziemlich wahrscheinlich. Im Zuge der jüngsten Sanierungsarbeiten konnte festgestellt werden, dass selbst die Fundamente der Außenwände und der Pfeiler bereits aus Backstein errichtet wurden und ungefähr zwei Meter in den Baugrund reichen.

Die Außenwände der Kirche sind in einer Schalenbauweise errichtet. Die Innen- und Außenseite ist Backsteinmauerwerk und der Zwischenraum wurde mit Bruchstein und Mörtel verfüllt.

Den ehemaligen Zugang zum ersten Bau findet man auf der Nordseite im Bereich des Chores.

Hier erkennt man auch gut die am östlichen Ende der Seitenschiffe als Sockel angedeuteten Apsiden. Diese gehörten zu Kapellen, die an den in der ersten Bauphase fertig gestellten Teil des Langhauses angesetzt waren. Die Seitenschiffe selbst sind erst im nächsten Bauabschnitt errichtet worden.

Die Fassade des Chores ist klar durch Lisenen, die mit einem Bogenfries verbunden sind, gegliedert. Die nicht mittig angeordneten Fenster sprechen eigentlich dafür, dass ein Gewölbe eingezogen werden sollte. Tatsächlich erhielt der Chor aber eine flache Holzdecke.

Bei den an der Apsis noch vorhandenen Putzresten handelt es sich um den originalen Verputz

Um den ersten Bauabschnitt noch weiter verdeutlichen zu können, muss man in die Kirche gehen. An den Chor wurde das Langhaus bis einschließlich der ersten Arkade angebaut. Die nördliche Arkade war bei diesem ersten Bau selbstverständlich geschlossen und das halbfertige Gebäude endete mit einer Westwand.

Ausgrabungen haben Fundamente des ehemaligen Altares im Bereich der Apsis und eines Lettners unter dem Chorbogen zu Tage befördert.

Der zweite Bauabschnitt begann ungefähr 22 Jahre nach Baubeginn. Das Langhaus wurde fertig gestellt und die Seitenschiffe errichtet. Nach zwölf weiteren Jahren erhielt das fertig gestellte Langhaus sein Dach. Anhand von erhalten gebliebenen Holzbauteilen des Dachstuhles konnte das Fälldatum auf ca. 1184 festgestellt werden. Auch einige im ersten Bauabschnitt verwendete Hölzer wurden im Langhaus eingebaut. Die gesamte Kirche hatte zu diesem Zeitpunkt eine flache Holzdecke.

Geweiht wurde die Kirche dem Heilige Nikolaus, dem Schutzpatron der Seefahrer, Binnenschiffer und Händler. Auch dies ist ein Indiz dafür, dass die Kirche an einem Handelsweg und einer Furt gelegen haben muss.

Geht man nun wieder aus der Kirche heraus, könnte man denken, hier wurde Hochbeete angelegt. Tatsächlich aber wurden bei der Sanierung der Kirche im Jahr 2002 massive Fundamente eines Turmes entdeckt. Diese Fundamente wurden hier nachgebildet. Wer sich etwas in der altmärkisch-romanischen Bauweise auskennt, würde an so einer Kirche den typischen Querriegel erwarten. Aber dem war offensichtlich nicht so. Dieser Turm hatte eine eher quadratische Form. Über das Aussehen des Turmes ist nichts mehr bekannt. Aber gemessen an seinen massiven Außenwänden wird es sich wohl um einen Wehrturm gehandelt haben. Der jetzige Turm der Kirche bestand also damals noch nicht.

Das Langhaus erstreckte sich demnach bis zum heutigen Westportal. Denkt man sich nun die Westempore und die Wand zwischen Langhaus und Turm weg, bekommt die Kirche eine ganz andere Dimension.

An den Seitenschiffen lässt sich die ehemalige Länge des Hauptschiffes ebenfalls ablesen. Die hier noch angedeuteten Arkaden waren in der romanischen Bauphase noch offen und die Seitenschiffe endeten mit dem Langhaus.

Allerdings stammen die jetzigen Seitenschiffe nicht aus der zweiten Bauphase. Nach erheblichen Zerstörungen im 17. Jahrhundert wurden sie auf den erhalten gebliebenen Fundamenten aufgebaut.

Auf dem Bild erkennt man gut den mittelalterlichen Sockel, worauf die neu gebauten Außenwände, etwas zurückversetzt und unter Verwendung der alten Ziegel, aufgebaut wurden. Auch die ursprünglichen Lisenen sind im Ansatz noch zu erkennen.

Betrachtet man die Fassade des Langhauses sieht man auch hier eine strikte Gliederung. Allerdings gehörte der Rundbogenfries unter der Traufe nicht in die romanische Zeit. Wogegen der Rundbogenfries unter den Fenstern der Hochschiffwand romanisch ist. Bei genauer Betrachtung erkennt man hier auch den Unterschied.

Im Jahr 1180, noch während der Bauphase, wird das Augustiner-Chorherrenstift begründet. Aus dieser Zeit muss auch der spätromanische Taufstein stammen.

Gute zwanzig Jahre später wird das Dorf, welches sich mit dem Stift sicherlich stetig entwickelt hatte, als „Boyster“ erstmals urkundlich erwähnt. Die Kirche selbst erfährt ihre Ersterwähnung erst 1246. Ein Konrad von Gottberg wird als Kanonikus genannt. Wie lebten die Stiftsherren in Beuster eigentlich? Zunächst muss man wissen, dass ein Stift nicht mit einem Kloster gleichzusetzen ist. Der Stifts- oder Chorherr legt meist ein Gelübde auf sein Stift ab. Dies ist aber nicht, wie im Fall eines Ordens, mit dem Verzicht auf weltliche Güter verbunden. Auch waren die Stiftsherren nicht verpflichtet ständig im Stift anwesend zu sein. Es war sogar üblich, dass sie ihren Dienst durch Vikare, also Vertreter, ausüben ließen. So ein Stift könnte man aus der heutigen Sicht als sowas wie eine Kaderschmiede bezeichnen. Der Adel gab seinen zumeist nachgeborenen männlichen Nachwuchs in ein Stift. Einige Jahre als Chorherr und der Weg für eine Laufbahn beim Klerus war gesichert. Genauso gern bediente sich der höhere Adel gern eines Chorherren, wenn es galt Posten bei Hofe zu besetzen. 

1337 sollte das Chorherrenstift nach Seehausen verlegt werden, was jedoch nicht passierte Allerdings war stets ein Chorherr aus Beuster auch Archidiakon von Seehausen. Das heißt, er war sozusagen Stellvertreter des Bischofs in der Kirchenprovinz Seehausen.

Das Dorf Beuster entwickelte sich in dieser Zeit offensichtlich zu einer recht ansehnlichen Ortschaft. Mitten durch den Ort floss damals der Aland, der wie die Elbe im Laufe der Zeit mit den vielen Hochwassern immer wieder sein Flussbett veränderte. Der Aland teilte den Ort in Groß- und Klein-Beuster. Die Stiftskirche lag in Groß-Beuster. Und so erhielt Klein Beuster eine kleine Kapelle, die im Jahr 1414 erwähnt wird. Diese Kapelle wird im 18. Jahrhundert zur Fachwerkkirche umgebaut. Es entstand die jetzige Pfarrkirche St. Marien.

Um 1500 erfährt die Stiftskirche ihre größte Veränderung. Der romanische Turm wird abgerissen. Die Gründe hierfür sind nicht bekannt. Der neue Turm wird in das Kirchenschiff hinein gebaut und damit das Langhaus verkleinert. Sicherlich war damals schon klar, dass der Kirchenbau eigentlich viel zu groß für das kleine Dorf war.

Die Gotik ist mittlerweile das nonplusultra auf mittelalterlichen Baustellen. Auf diesem Bild sieht man die östliche Turmwand. Spitzbögen sind eines der Hauptmerkmale dieses Baustiles. Die massiven Stützpfeiler an der Westwand des Turmes dienen der Statik. Aus eben diesem Grund wurden auch die westlichen Arkaden zugemauert.

Die Kirche erhielt ein schlichtes gotisches Portal.

Vermutlich aus dieser Zeit stammen auch Reste von Malereien am westlichen Arkadenbogen auf der Südseite.

Die Kirche selbst erhält ein schönes Kreuzrippengewölbe.

Infolge der Reformation wird das Chorherrenstift aufgehoben. Zu diesem Zeitpunkt zählte das Stift nur noch drei Kanoniker. In diesem Zusammenhang wird das Dorf nun als Boister benannt. Die Kirche wird zur Dorfkirche von Groß-Beuster.

Bei den jüngsten Sanierungen wurden unter anderem die ursprünglichen Bodenplatten freigelegt. Diese wiesen erhebliche Brandspuren auf. Wahrscheinlich im 30-jährigen Krieg erlebte die Kirche ihre größte Zerstörung. Die Altmark war nicht wirklich ein großer Kriegsschauplatz. Aber durchziehende Truppen beider Kriegsgegner hinließen Schneisen der Verwüstung. Das Dach des Hauptschiffes und des Turmes wurden stark in Mitleidenschaft gezogen. Die Seitenschiffe wurden fast vollständig zerstört und musste neu aufgebaut werden. Hierbei wurden, wie bereits erwähnt, die Seitenwände etwas zurückgesetzt auf dem mittelalterlichen Sockel aufgebaut.

Auf diesem Foto erkennt man sehr gut, dass der Ostgiebel über der Apsis im Zusammenhang mit der Erneuerung des Daches neu aufgemauert wurde. Die beim Dachbau verwendeten Hölzer stammen nachweislich aus den Jahren um 1790.

Die Sanierung der Kirche geht aber noch weit über eine bloße Reparatur hinaus. Das Zeitalter des Barock ist angebrochen. Und so erhält die Kirche eine Sakristei im südlichen Seitenschiff und eine hölzerne Komplettausstattung mit Westempore, Herrschaftslogen, Kastengestühl und Kanzel. Auch die jetzigen Türen in der Nord- und Südwand werden eingebaut. Bei späteren Umbauten wurde die barocke Ausstattung vollständig wieder entfernt, nur die beiden Grabplatten an der Ostwand des südlichen Seitenschiffes sind erhalten geblieben.

Bei all diesen Umbauten und Sanierungen fällt natürlich auch Schutt an. Dieser Schutt wurde nicht, wie es heute allgemein üblich ist, abgefahren und entsorgt, sondern einfach gleichmäßig um die Kirche herum verteilt. Wie dadurch das Gelände um die Kirche angewachsen ist, zeigt eindrucksvoll der Fußabstreifer am Westportal, der ursprünglich sicherlich ohne sportliche Betätigung der Reinigung der Schuhsohlen diente.

Mitte des 19. Jahrhunderts erhält die Kirche eine weitere Verjüngungskur. Der Pomp des Barock ist unmodern geworden. Klare und schnörkellose Linien bestimmen das neue Ideal. Aber auch ein stärkeres Bewusstsein für die Geschichte und die Hinterlassenschaften früherer Generationen nehmen Einfluss bei der Sanierung historischer Gebäude. Das Turmdach wird erneuert und erhält einen Dachreiter, die Türen in den Seitenschiffen erhalten Rundbögen und die Lisenen der Hochschiffwand werden mit einem Rundbogenfries unter der Traufe miteinander verbunden.

Die Veränderungen im Inneren der Kirche sind gravierender. Zuerst wurde die komplette barocke hölzerne Ausstattung entfernt. Die Empore wird durch eine steinerne im romanischen Stil ersetzt. Die heute noch erhaltene Kanzel wird eingebaut. Das Fußbodenniveau der Kirche wird erhöht und dem Außenniveau etwas angepasst. Zuletzt erhält die Kirche einen neuen Anstrich. Die Gewölberippen bekommen eine rote Farbe und die Gewölbeflächen erstrahlen in einem Blau. Die Apsiskalotte erhält einen leuchtenden Sternenhimmel.

Die gesamte Apsis bekommt zudem ein blau-rötliches Muster, welches in Fragmenten noch erhalten ist.

Aus der Zeit des zu Ende gehenden 19. Jahrhunderts stammt auch eine noch erhaltene Glocke. Ursprünglich besaß die Kirche drei Bronzeglocken. Jedoch wurden zwei der Glocken im ersten Weltkrieg eingeschmolzen. Heute erklingen wieder drei Glocken im Turm. Aus alten verfallenen Kirchen wurden zwei Glocken aus den Jahren 1789 und 1718 hierher umgesetzt.

Wenn man im Erdgeschoss des Turmes steht und nach oben schaut, sieht man die Gewichte des Uhrwerks der Turmuhr. Die Gewichte werden heute noch per Kurbel bewegt und damit die Kirchturmuhr aufgezogen.

Das Uhrwerk wurde von einer Berliner Firma hergestellt und ist ein phantastisches Räderwerk. 

Anfang des 20. Jahrhunderts waren die Feuchtigkeitsschäden an den Wänden und Pfeilern der Kirche nicht mehr zu übersehen. Viele Hochwasser und die Aufschüttung des Geländes zollten ihren Tribut. Der daraufhin angebrachte Teeranstrich sorgte zudem noch dafür, dass die aufgestaute Nässe nicht mehr entweichen konnte und noch höher in das Mauerwerk stieg.

So war in der jüngsten Vergangenheit die vordringlichste Aufgabe klar, die Trockenlegung der Kirche. Engagierte Bürger des mittlerweile vereinigten Dorfes Beuster gründeten 2001 den Förderverein St.-Nikolaus-Kirche-Beuster e.V. Mit Fördermitteln und der Unterstützung vieler privater Helfer und Organisationen konnte die Kirche ausgeschachtet werden, der Teeranstrich wurde entfernt, die Fassaden und das Innere der Kirche saniert. Es bleibt noch sehr viel zu tun um diese Kirche im nördlichsten Zipfel von Sachsen-Anhalt auch für zukünftige Generationen zu erhalten.

Mittlerweile dient die Kirche nicht mehr nur dem geistlichen sondern auch dem kulturellen Wohl des Dorfes und der gesamten Umgebung. Konzerte, Lesungen, Ausstellungen und Tagungen werden vom Förderverein organisiert. Dieses und auch die Aufnahme in die Straße der Romanik im Oktober 2007 hat die Kirche weit über die Grenzen des Ortes bekannt gemacht.

Für mich persönlich bleibt der Besuch im Sommer 2016 in ganz besonderer Erinnerung. Nicht nur dass ich ein privates Orgelkonzert erhielt, ich durfte auch das erste Mal in meinem Leben eine Orgel zum klingen bringen. Für die Zuhörer war das sicherlich kein besonderer Genuss aber für mich ein einmaliges Erlebnis. Im Ergebnis bin ich nun Pate eines Sternes in der Apsis. Ich hoffe, dass noch viele Sterne begeisterte Anhänger finden und wünsche dem Förderverein noch viele weitere gute Ideen, Tatkraft und die Unterstützung die es bedarf, die Kirche zu erhalten und noch weiter zu verschönern.