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Wenn man sich die Kirche von außen anschaut, fällt einem nicht unbedingt die Romanik ein. Eigentlich kann man das Gebäude nicht mal als Kirche bezeichnen. Da sind kein Turm, keine Apsis und auf der Südseite nicht mal ein Seitenschiff. Was also qualifiziert dieses Gebäude ein Teil der Straße der Romanik zu sein?

Romanisches gibt es tatsächlich nicht viel von der Kirche zu berichten. Die Geschichte der Kirche, so wie wir sie heute sehen, beginnt erst in der Mitte des 13. Jahrhunderts.

Grund genug uns erst einmal mit dem Entstehen der Stadt Salzwedel zu befassen, denn die frühesten Aufzeichnungen stammen bereits vom Anfang des 12. Jahrhundert, als es um die Belagerung einer Burg durch Kaiser Heinrich V. ging. Es war eine Niederungsburg auf einem Hügel. Wahrscheinlich gab es auch einen Wassergraben, der die Burg umgab. Der Bergfried im Burggarten der Stadt zeugt noch heute von der Wehrhaftigkeit mit der es Kaiser Heinrich hier zu tun hatte.

Aber warum gab es genau an dieser Stelle eine Burg? Wie so oft musste es etwas zu beschützen geben. In diesem Fall war es die Salzhandelsstraße, die von Magdeburg bis nach Lüneburg verlief und genau hier über eine Furt die Jeetze überquerte. Zudem bestand auch ein großes Schutzbedürfnis gegenüber den Slawen, welche Ende des 10. Jahrhunderts die Gebiete östlich der Elbe zurückeroberten. Zeitweise war die Burg sogar Sitz der askanischen Markgrafen.

Mit der Zeit siedelten sich Handwerker und ihre Familien um die Burg an, die auch schnell Kaufleute nach sich zogen. Es entstand ein Markt, Handel wurde betrieben und Münzen wurden geprägt. Es waren wohl zu großen Teilen niedersächsische Siedler, die sich hier niederließen. Zumindest lässt der Namensteil -wedel darauf schließen.

In dieser Zeit, es muss so zwischen 1100 und 1200 gewesen sein, entstand auch der Vorgängerbau der heutigen Lorenzkirche. Er wurde wohl aus Holz oder Feldstein erbaut. Das Patrozinium der Kirche war der Heilige Laurentius. Damit wäre klar, dass die erste Kirche nicht vor 955 erbaut wurde. Die Verehrung des Laurentius begann mit der Schlacht am Lechfeld, denn die Schlacht fand am 10. August 955 statt, dem Laurentiustag. Da Otto I. an diesem Tag einen furiosen Sieg über die Ungarn eingefahren hat, kam ab diesem Zeitpunkt dem Laurentius eine besondere Bedeutung und Verehrung zu.

Bei Ausgrabungen rund um die Kirche wurden einige Eisenschmieden entdeckt, in denen Raseneisenerz verhüttet wurde. Raseneisenerz kommt in Bodenschichten aus Torf, Sand oder Schluff vor. Es war wohl eine mühselige Arbeit, denn der Gehalt an Eisenerz war nicht sehr ergiebig.

Darüber hinaus wurde am Ostgiebel der Kirche ein Feldsteinfundament gefunden, welches das Kirchenfundament schneidet und somit älter als die Kirche ist. Die Dicke des Fundamentes von drei Metern lässt darauf schließen, dass es sich hier um eine alte Wehrmauer gehandelt hat, die vielleicht noch zur Burganlage gehörte.

In diesem Jahrhundert entstanden drei Stadtkerne. Einer um die Burg herum, einer um die Marienkirche und ein weiterer um die Nicolaikirche, die im 18. Jahrhundert abgerissen wurde. Die Lorenzkirche befand sich im Burgviertel.  1233 wird Salzwedel erstmalig als Stadt erwähnt.

Gehandelt wurde in der Stadt hauptsächlich mit Tuchen, Bier und natürlich dem Salz, was aus Schönebeck bei Magdeburg über die Salzhandelsstraße nach Salzwedel transportiert wurde. Ab hier war die Jeetze schiffbar und Salzwedel bekam sogar einen Hafen und trat 1263 der Hanse bei.

Ein kleines Novum und daher unbedingt erwähnenswert ist das Salzwedler Stadtrecht. Oft war es so, dass sich Städte dem Stadtrecht einer nächstgelegenen größeren Stadt anschlossen, in diesem Fall wäre es wohl Magdeburg gewesen, zumal das Magdeburger Stadtrecht ein echter Exportschlager gewesen ist. Vielleicht lag es an der Entfernung zu Magdeburg und auch daran, dass man sich eher zu Lüneburg mit seiner Verbindung nach Hamburg hingezogen fühlte. In Salzwedel entstand jedenfalls ein eigenes Stadtrecht. Dies ist auch der Grund, weshalb man hierüber recht gute Aufzeichnungen findet. Ein wenig angelehnt an das Lüneburger Stadtrecht und vor allem an den Sachsenspiegel wurden 87 Paragraphen verfasst, die das Salzwedler Stadtrecht umfasste.

So wurde hier festgehalten, dass dreimal im Jahr Gericht gehalten wurde. Es gab Geldstrafen bei Beschimpfungen von Ratsmitgliedern. Bei Diebstählen drohte die Prügelstrafe und bei Diebstählen von besonders wertvolleren Gegenständen sogar die Todesstrafe. Mängel an Feuerstätten in Häusern mussten innerhalb von drei Tagen beseitigt werden und ein Testament konnte nur noch der verfassen, der selbstständig noch eine Mark Silber abwägen konnte.

So um die Mitte des 13. Jahrhunderts wurden die schmalen Gassen der Altstadt zu eng. Man begann planmäßig zu bauen. Es entstand die Neustadt. Noch heute kann man anhand der Straßenführung die Neustadt und die Altstadt ausmachen. Beide, die Neu- und die Altstadt entwickelten sich als voneinander unabhängige Städte. Die Hauptpfarrkirche der Altstadt war die Marienkirche, während die der Neustadt die Katharinenkirche war. Sogar eigene Stadtbefestigungen hatten beide Städte. Und dort, wo sich die beiden Stadtmauern an Straßenzügen trafen gab es Stadttore. Eines von den beiden Toren befand sich in der heutigen Burgstraße. Noch bis 1713 waren beide Städte voneinander getrennt und das Tor in der Burgstraße bestand tatsächlich noch bis ins 20. Jahrhundert.

Mit diesem Wissen kann man sich eine ungefähre Vorstellung machen, wie es in Salzwedel um die Mitte des 13. Jahrhunderts so zuging. Es war eine im Aufstreben begriffene Handelsstadt. Und je mehr Einwohner eine Stadt zählte, umso mehr Kirchen brauchte man. Und so beschloss man die alte Lorenzkirche gänzlich abzureißen und eine neue Kirche aus Backstein zu errichten. In Frankreich baute man zu dieser Zeit bereits hoch, hell, schlank, gotisch halt und irgendwie gen Himmel. Während man in der deutschen Provinz noch auf romanischen Bögen, dicken Wänden, kräftigen Pfeilern und kleinen Fenstern setzte. Aber es gab die ersten zaghaften Versuche mit den Franzosen mitzuziehen. Die Lorenzkirche ist hierfür ein hervorragendes Beispiel.

Beginnen wir einmal mit einem Rundgang um das Gebäude. Auf der Nordseite finden wir ein überhaupt nicht zum Gebäude passendes Seitenschiff. Dieses wurde in den 60-er Jahren unter Auflagen der damaligen Denkmalschutzbehörde ziemlich lieblos an die Kirche angebaut. Auch der Versuch nach der Wende eine Änderung der wie Stallfenster wirkenden Fensteröffnungen vorzunehmen, ist an der Behörde gescheitert. Den Obergarden zieren vier Okuli, die aber auch schon ihre romanische Grundstruktur verloren haben, denn das stark nach außen verlaufende konkave ist weitestgehend schon nicht mehr vorhanden. Darüber verläuft ein typischer Rundbogenfries.

Auf der westlichen Seite des Seitenschiffes  kann man noch Reste des Sockels vom ursprünglichen Seitenschiff erkennen, welches Anfang des 18. Jahrhunderts abgerissen wurde.

Neben dem Sockel blieb auch die Westwand des Seitenschiffes erhalten. Das alte Mauerwerk setzt sich sehr gut vom ergänzten Mauerwerk ab. Im Übrigen kann man die im ursprünglichen Mauerwerk eine klare Struktur bei den verwendeten dunklen Steinen erkennen.

Geht man nun auf die Nordseite der Kirche kann man die Begrenzung des Westwerkes, also den ehemaligen Turm gut erkennen. Der Turm wurde Ende des 18. Jahrhunderts abgerissen und das Dach bis zum Westgiebel durchgezogen, so dass man den Eindruck hat, dass diese Kirche nie einen Turm besessen hat. Dort wo der Rundbogenfries endet begann der Turm.

Die an das Seitenschiff anschließende Sakristei wurde in der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts angebaut. Die Fenster wurden bereits verändert und stellen leider nicht mehr den ursprünglichen Zustand dar.

Aber wenn man sich den Ostgiebel der Sakristei anschaut, bekommt man eine ungefähre Vorstellung wie die Längsseite der Sakristei ursprünglich ausgesehen haben könnte.

Der Ostgiebel ist ein Musterbeispiel für den Übergang von der Romanik zur Gotik. Die Fensteröffnungen sind nicht mehr ganz rund aber auch noch nicht richtig spitz. Die wie Pfeiler wirkenden Mauervorsprünge zwischen den Fenstern, die die Fenster wie in Nischen eingebettet erscheinen lassen, sind eindeutige Vorboten der Gotik. Auch die über den Fenstern angeordneten drei Rundblenden und der aufsteigende Rundbogenfries geben eine Vision von einem Schaugiebel, wie er in der Gotik üblich war.

Die Südseite der Kirche ist gezeichnet vom fehlenden Seitenschiff. So kann man hier sehr gut erkennen, dass der Chor die gleiche Breite aufweist, wie das Mittelschiff. Die beiden außen liegenden Fenster des Chores treten innen nicht in Erscheinung, sondern sind außen nur vorgeblendet. Auch hier ist die Gotik bereits allgegenwärtig. Überhaupt ist der neue Baustil im Bereich des Chores viel intensiver angewandt worden, als an den anderen Bauteilen der Kirche.

Betrachtet man nun die gesamte Südseite sieht man die vermauerten Rundbogenarkaden, die ursprünglich das Mittelschiff vom Seitenschiff getrennt haben.

Der breite bis zum Dach hochgezogene Pfeiler ist ein altes Treppenhaus, welches noch heute zum Dach und zur ehemaligen Glockenstube führt.

Der Westgiebel  erinnert etwas an den Ostgiebel ist aber bei weitem nicht so aufwändig gestaltet.

Das Westportal ist ein mehrfach abgetrepptes Rundbogenportal. Dass man zum Portal einige Stufen hinuntergehen muss, mag daran liegen, dass das Höhenniveau der Umgebung angewachsen ist. Dieses Phänomen tritt insbesondere in Städten auf, die dicht bewohnt waren und sich im Laufe der Zeit sehr stark veränderten. Durch Ablagerungen von Bauschutt, Abfall und ähnliches ist das Straßenniveau kontinuierlich gestiegen.

Die Klinke der Tür wurde 1964 von Heinrich Apel gestaltet. Dieser Künstler hatte bereits an den Magdeburger Kirchen vielfältig seine Handschrift hinterlassen. Diese Klinke zeigt den Heiligen Laurentius wie er auf dem Rost gebraten wurde. Tatsächlich kam der Heilige im Jahr 258 durch das Schwert um.

Betreten wir jetzt also die Kirche. Freundlich und hell wirkt Sie, aber durch das fehlende nördliche Seitenschiff auch etwas aus dem Gleichgewicht geraten.

Die erste tatsächliche urkundliche Benennung der Kirche erfolgte erst 1315 im Zusammenhang mit der Stiftung von Altären. Zu diesem Zeitpunkt hat es die Kirche wohl schon mindestens ein dreiviertel Jahrhundert in dieser Form gegeben. Mit den Jahren wuchsen die drei Altstadtviertel zusammen. Die wesentlich größere Marienkirche dominierte die Altstadt und die Lorenzkirche begann ihr Schattendasein.

Ursprünglich waren das Mittelschiff und der Chor mit einer Flachdecke überspannt. Um 1400 erhielt das Mittelschiff das noch vorhandene gotische Kreuzrippengewölbe mit den schönen Stuckköpfchen am Ansatz der Gewölberippen.

Bei der Einwölbung des Chores hatte man aufgrund der geringeren Gebäudehöhe und der schon seit dem Bau vorhandenen Spitzbogenfenster Mühen das Gewölbe einzupassen.

Da musste die Ästhetik hinter der moderneren Bauform etwas zurückstehen.

Die im 15. Jahrhundert angebaute Sakristei erhielt bereits mit ihrem Bau ein schönes Kreuzrippengewölbe.

Zu dieser Zeit nutzten bereits Bruderschaften und Gilden die Kirche. Die Reformation beendete die sakrale Funktion der Kirche endgültig. Hinzu kommt, dass Ende des 16. Jahrhunderts zweimal die Pest in der Altmark wütete und die Bevölkerungszahlen enorm reduzierte. Anfang des 17. Jahrhunderts übernimmt der preußische Staat das Gebäude und richtet, entgegen dem Willen des Magistrates der Stadt, ein Salzlager ein. Eine „Zierde der Stadt“ sei die Kirche, so argumentierte man von Seiten der Stadtobersten. Aber es nützte nichts. Mit dem Salz, welches extrem aggressiv auf das Mauerwerk wirkte, kam der Verfall der Kirche im Galopp.

1703 wurde die Turmspitze stark bei einem Sturm beschädigt. Der Turm bekommt danach nur noch ein abgeflachtes Dach, bevor er dann 90 Jahre später endgültig abgerissen und das Dach des Langhauses über den Westbau erweitert wird.

Nach einem Stadtbrand im Jahr 1705 werden beide Seitenflügel abgerissen und die romanischen Arkaden vermauert. Direkt an den Ostgiebel werden Häuser angebaut. Die Kirche ist zu diesem Zeitpunkt eigentlich nur noch ein Schatten ihrer selbst.

1859 kauft der bischöfliche Stuhl das Gebäude für die katholische Gemeinde in Salzwedel. Eine Reihe von Sanierungen beginnen. Das Dach wird erneuert, die Kirche erhält eine neue Kanzel, eine Orgel samt Empore, einen Altar und natürlich ein neues Gestühl.

Der Zementputz den man auf die vom Salz geschädigten Wände auftrug, verschlimmerte den Zustand jedoch noch, da die Feuchtigkeit nicht aus dem Mauerwerk entweichen konnte. Die Schädigungen an den Wänden sind bis heute noch zu erkennen.

Ein paar Jahre später wurde ein Gemeinde- und Schulraum im Bereich des nördlichen Seitenflügels an die erhalten gebliebene Westwand angebaut.

Die beiden folgenden Weltkriege verhindern weitere geplante Sanierungen. Glücklicherweise wird Salzwedel weitestgehend von Zerstörungen im 2. Weltkrieg verschont.

In den 60-er Jahren beginnt man dann wieder mit Aufbauarbeiten. Das nördliche Seitenschiff wird wieder angebaut.

Zwar etwas lieblos, aber mit der Öffnung der Arkaden erhält man wieder den Eindruck in einer Kirche zu stehen. Gleichzeitig wurde der schädigende Zementputz entfernt und der Fußboden um 30 Zentimeter auf das ursprüngliche Niveau abgesenkt.

Nun sind auch die Sockel der mächtigen Säulen wieder zu erkennen und geben der Kirche ihr wuchtiges romanisches Flair zurück. In den Fußboden wird noch eine Heizung eingebaut und die Orgelempore samt Orgel wird abgerissen, da hier der Holzwurm bereits ganze Arbeit geleistet hat.

Das Kruzifix aus dem 16. Jahrhundert und die um 1500 hergestellten Holzfiguren von Johannes und Maria wurden aus der Mönchskirche in den Chor der Lorenzkirche umgesetzt.

Bis heute verlangt die Kirche, insbesondere aufgrund der Schädigung durch das Salz, immerwährende Aufmerksamkeit. Eine Aufmerksamkeit und Würdigung anderer Art erhielt sie mit der Aufnahme in die Straße der Romanik. Gerade als älteste Kirche der Stadt Salzwedel und in Verkörperung des Überganges von der Romanik zur Gotik hat sie damit einen würdigen Platz in der  Geschichtsschreibung der Altmark bekommen.