Die Geschichte des Dorfes Wust beginnt wohl direkt mit dem Slawenaufstand im Jahr 983. Um die zurückeroberten Gebiete rechts der Elbe zu sichern, legten die Slawen Burgen an. Eine dieser Burgen muss wohl auch auf dem ungefähren Gebiet des heutigen Dorfes bestanden haben. 2,5 Kilometer von Wust entfernt fand man nämlich die Reste von Burgwällen, die diese Vermutung stützen. Oft ist die Existenz einer Burg mit dem Vorhandensein einer kleinen Ansiedlung verbunden. Als im Jahr 1144 in Jerichow ein Prämonstratenser-Chorherrenstift gegründet wird, hat bereits eine Pfarrkirche dort bestanden. Die Sachsen hatten also bereits vor dem Wendenkreuzzug im Jahr 1147 ihre Arme östlich der Elbe ausgestreckt. Vielleicht war das ein Grund, weshalb die Slawen die Burg und die Siedlung bei Wust aufgegeben hatten und diese wüst viel. Zumindest wäre das eine Erklärung für den Namen „Wust“, den die sächsischen Siedler dem Ort gegeben haben. Eine andere Erklärung liegt in der slawischen Bezeichnung „Wostitz“ für den Ort, den die Siedler übernommen haben. Es ist wohl nicht mehr zu klären, was hier vor 900 Jahren geschehen ist.

Gesichert ist jedenfalls, dass in der Zeit von 1191 bis 1206 die Kirche vom Havelberger Bischof Helmbert geweiht wurde. Dies geht aus einer Urkunde des Erzstiftes Magdeburg hervor. Die Kirche in Wust ist eine Filiale der Kirche in Melkow und somit sind diese Beiden wohl die ältesten Kirchen im Elbe-Havel-Winkel.

Wie muss man sich die Kirche nun kurz nach ihrem Bau vorstellen? Fangen wir mit unserem Rundgang an der Südseite des Langhauses an. Die Fenster wurden nachträglich vergrößert, behielten aber ihre für die Romanik typische konische Form. Die Leibungen wurden nach dem Umbau der Fenster verputzt. So ragen diese nun in den unter der Traufe liegenden Winkelfries, der hier auch etwas eingekürzt wurde. Über dem Winkelfries liegt noch ein deutsches Band. Das ursprüngliche Südportal wurde mit einer Grabplatte verschlossen. Das links daneben befindliche Fenster stammt auch aus einer späteren Epoche.

Der Turm wirft einige Rätsel auf. Fest steht, dass 1727, es ist das Zeitalter des Barocks, der Fachwerkturm mit einer welschen Haube mit Laterne auf einen vorhandenen Turm aufgesetzt wurde. Wie der Turm vor dem Umbau aussah, liegt im Dunkel der Geschichte. Man kann nur mutmaßen, aber es wird wohl ein für diese Gegend üblicher Westriegel gewesen sein. Die Spekulationen um den Turm beginnen schon in der Romanik. Es ist nämlich gar nicht klar, ob ein Turm überhaupt geplant war. Die Kirchenbauten der Prämonstratenser zeichnen sich nämlich durch ihre turmlose Gestalt aus. Was gesichert ist, ist dass der Turm nicht im Verband mit dem Langhaus gemauert wurde. Dies kann daran liegen, dass dem Baumeister schon damals klar war, dass der Turm aufgrund seiner größeren Last auch zu größeren Setzungen als bei den anderen Gebäudeteile führt und so wurde zur Sicherheit der Turm gegen das Langhaus gemauert. Oder er wurde eben erst später angebaut, weil er in der ursprünglichen Planung nicht vorgesehen war. Dafür spricht die Verwendung eines anderen Backsteinformates. Auch hier ist jeder Erklärungsversuch reine Spekulation.

Auf der Nordseite des Langhauses, kurz bevor der Chor beginnt, kann man wieder etwas spekulieren. Der Winkelfries endet hier nicht gleichmäßig, sondern man hat ihn in zwei schmalere Teilstücke auslaufen lassen. Da hat es der Baumeister halt nicht so genau genommen. Ich stelle mir nun vor, wie der Auftraggeber gar nicht so erbaut davon war und dass es hier vielleicht mächtig Ärger gegeben haben könnte. „Pfusch am Bau“ hat es zu jeder Zeit gegeben. Aber warum hat man nicht schon am Westteil begonnen, die restlichen Zentimeter des Frieses auszugleichen? Nicht immer wurde waagerecht hochgemauert. Oft wurde ein Haus ringförmig gebaut. Das heißt, man begann im Süden und mauerte einen schrägen Pfeiler bis zur Traufhöhe und dann vertikal schräg weiter in Westrichtung. Wenn man dann mit dem Fries am Ende nicht hinkommt, ist eine Korrektur nicht mehr möglich.

Auch auf der Nordseite wurden die Fenster vergrößert und das Portal durch ein halbhohes Fenster ersetzt.

Im Zuge der Schließung der beiden Portale auf der Nord- und Südseite wurde ein neuer Zugang über die Turmwestseite geschaffen. Hier hat man das Portal romanisch nachgebildet. Vermutlich war die Schließung der seitlichen Portale durch den Einbau der Emporen erforderlich.

Steht man nun im Turmuntergeschoss kann man gegenüber der Treppe an der Turmostwand mit einiger Phantasie noch die Reste des ehemaligen Tonnengewölbes erkennen. Im 18. Jahrhundert erhält das Turmuntergeschoss ein neues Tonnengewölbe. Rechts und links hinter verschlossenen Türen befindet sich die alte Gruft der Familie von Katte. Hierzu kommen wir noch zu einem späteren Zeitpunkt.

Betritt man dann die Kirche fallen die typischen romanischen Formen ins Auge. Der romanische Chorbogen und das Kreuzgratgewölbe des Chores sowie das Halbrund der Apsis.

Eine kleine Besonderheit für eine Dorfkirche sind die beiden Altarnische in der östlichen Langhauswand. Diese dienten der Aufstellung eines Altares. Die gegenüber den Nischen gelegenen Türen in der Westwand dienten den Prozessionen, die durch die Kirche an den Altären vorbei ging.

Schlussendlich bildet die Priestertür das letzte erhaltene romanische Bauteil. Leider wurde die ehemals wohl vorhandene Holztür entfernt und die Türöffnung maurermäßig verschlossen. Auch an der Außenseite der Kirche kann man die Umrisse der Tür noch erkennen.

Der Erste, in der bis jetzt bekannten Literatur, benannte Lehnsherr von Wust ist Heinrich der Feste im Jahr 1387. Die Adelsgeschlechte von Britzke, von Bardeleben und von Vollenschier folgen in den nächsten Jahrhunderten. Der älteste Nachweis eines von Katte in Wust stammt aus dem Jahr 1618. Der Ursprung der Familie von Katte liegt in den Niederlanden.

Mit Hans von Katte und seiner Frau Dorothee Katharina von Witzleben begann in der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts die barocke Umgestaltung der Kirche.

Das markanteste Ausstattungselement ist wohl die mit kleinen dicken typisch barocken Engelchen versehene Kassettendecke mit 92 Feldern.

Der Empore mit den Engelsköpfen mussten wohl die beiden Portale auf der Süd- und der Nordseite weichen. Auch die Vergrößerung der Fenster dürfte in diese Zeit gehören, denn mit den kleinen romanischen Fenstern und der massiven Empore davor, war wohl kaum noch ein Lichteinfall in der Kirche möglich.

Der Altaraufsatz entstand ebenfalls in barocker Zeit. Allerdings war das Erscheinungsbild damals wohl ein etwas anderes.

Denn die Kanzel war ursprünglich ein Teil des Altares.

Zu den barocken Umbauten gehörte auch der Einbau einer Herrschaftsloge. Aufgrund der doch recht beengten Platzverhältnisse wurden für den Einbau umfangreiche Umbaumaßnahmen in Kauf genommen. Die 0,9 Meter starke Außenwand wurde durchbrochen, mit Holzbalken abgefangen und die Loge eingebaut. Das Bedürfnis der Abgrenzung vom einfachen Volk ließ man sich schon damals einiges kosten. Das hat sich bis heute eigentlich nicht geändert, nur heute nennt man es VIP-Lounges.

Dass es bei den Umbauarbeiten zu massiven statischen Problemen kam, kann man an der südlichen Choraußenwand über dem Anbau unschwer erkennen.

Der nachträglich angesetzte und urtümlich wirkende Stützpfeiler diente der Stabilisierung der Südwand des Chores nach dem Umbau.

Ein weiterer tiefgreifender Einschnitt in die romanische Bausubstanz war der Anbau der Gruft an die halbrunde Apsis. Die ursprüngliche Gruft im Untergeschoss des Turmes wurde zu klein. Wahrscheinlich kam es beim Anbau zu unvorhersehbaren statischen Veränderungen, die zum Einsturz eines Teiles des Chores führten.

Am eindrucksvollsten erkennt man Spuren von diesem Einsturz an der Nordwand des Chores schräg über dem Fenster in Richtung Langhaus. Hier ist der ursprüngliche Rautenfries unterbrochen und wird durch einen einfacheren Konsolenfries fortgesetzt. Darüber hinaus erkennt man am senkrechten Riss unter dem Fenster, dass hier wohl unter Zuhilfenahme der ursprünglichen Ziegel ein Teil des Mauerwerks angesetzt wurde.

Im Inneren der Kirche weisen die Gewölbeauflager im Chor darauf hin, dass hier etwas passiert sein musste. So bestehen auf der Westseite des Chores noch die originalen Auflager.

Die Auflager im Osten sind völlig verändert und zeigen einmal mehr, dass es einen tiefen Einschnitt in die Baulichkeit des Chores gegeben haben muss. Meine Theorie wäre, dass vielleicht beim Ausschachten der Fundamente für den Gruftanbau die Apsis und ein Teil des Chores in die Baugrube gerutscht ist. Dabei wurde auch das Gewölbe des Chores beschädigt, worauf die unterschiedlichen Auflager hinweisen. Aber wie schon gesagt, es ist nur eine Theorie.

Im Jahr 1727 wird der Fachwerkturm mit geschweifter Haube und einer darauf platzierten Laterne auf den Stumpf des wahrscheinlich vorhandenen ehemaligen Westriegels aufgebaut.

Ungefähr in dieser Zeit schreiben die von Katte ein kleines Stück preußischer Geschichte. Hans Hermann von Katte, ein junger Mann und Premierleutnant in der preußischen Armee unter Friedrich Wilhelm I. (hier eine Nachbildung eines Gemäldes von Georg Lisiewski, was im Turmuntergeschoss hängt und mit dem Signum „Gisella“ versehen ist) verbrachte einen Teil seiner Kindheit auf dem Gut der Familie in Wust. Nach seinem Eintritt in die preußische Armee wird der Sohn des preußischen Königs, Friedrich II. (später Friedrich der Große oder salopp der „Alte Fritz“) auf ihn aufmerksam. Sein Interesse für das Flötenspiel und die Dichtkunst soll es wohl gewesen sein, was das Interesse begründete. Nun stelle man sich vor, ein preußischer Soldat, der das Flötenspiel und die Dichtkunst mag und damit ja wohl offensichtlich auch nicht „hinter dem Berg hält“. Sicherlich ist es ein Klischee jetzt zu denken, dass Hans Hermann von Katte vielleicht homosexuell war und eigentlich ist es ja auch egal. Aber im Zusammenspiel mit Friedrich II. bekommt diese Theorie ganz andere Dimensionen. Zeitgenossen berichteten jedenfalls, dass der Umgang zwischen den beiden Männern „wie Liebhaber mit seiner Geliebten“ gewesen sein soll. Dass Friedrich II. ein Schöngeist gewesen ist, steht wohl mittlerweile außer Frage und dass ihm der militärische Drill zuwider war, wohl auch. Das bewog den Thronfolger aus einem Manöverlager in Sachsen in Richtung Frankreich zu fliehen. Die Flucht wurde entdeckt und Hans Hermann von Katte wurde als Mitwisser zu lebenslanger Festungshaft verurteilt. Dieses Urteil wurde dann durch den König in ein Todesurteil umgewandelt und von Katte durch Enthauptung hingerichtet. Friedrich selbst und seine Schwester, die ebenfalls als Mitwisserin galt, wurden ein Jahr lang in Haft genommen. Aktuelle Forschungen gehen davon aus, dass die Verschärfung des Urteils gegen von Katte durch den König darauf zurück zu führen sei, dass dem König die Verbindung zwischen seinem Sohn und von Katte alles andere als Recht war. Er sah in von Katte einen „Verführer“ und wollte mit dem Todesurteil wohl auch die homosexuellen Neigungen seines Sohnes abstrafen.

Hans Hermann von Katte erhielt seine letzte Ruhestätte in der Familiengruft. Allerdings erhielt er keinen standesgemäßen Sarkophag, wie andere Familienmitglieder, sondern seine Überreste verblieben in dem einfachen Sarg, in welchem er nach der Hinrichtung hierher verbracht wurde. Dieser Sarg steht in der äußersten Ecke der Gruft. Der Vater von Hans Hermann stand trotz dieses Dramas weiterhin in Diensten seines Königs. Er wurde in der Folge mehrfach befördert und geehrt.

Mit der französischen Besetzung begann der Niedergang des Gutes, des Dorfes und damit auch der Kirche. Das Dorf und die Kirche wurden von den napoleonischen Truppen geplündert. Es gab mehrfach Feuersbrünste, die große Teile des Dorfes zerstörten. Selbst Theodor Fontane berichtete von der Verwahrlosung des Rittergutes. Hans Aemilius war der letzte von Katte. Er baute das Gut zu einer Musterwirtschaft auf. Leider verstarben seine Kinder noch vor ihm und mit der Hochzeit seiner adoptierten Tochter ging das Gut an die Adelsfamilie von Pilgrim.

Nach dem 2. Weltkrieg beendete die Bodenreform die wechselhafte Geschichte der Adelsgeschlechter in Wust endgültig. In den 1960-er Jahren war der Zustand der Kirche eine Katastrophe. Aufgrund fehlender finanzieller Mittel beschloss man, dass die Kirche eine Ruine werden sollte. Als dann der Turm drohte auf die Straße zu kippen begann mit der Sicherung die Sanierung des Turmes. Unter der Initiative des Pfarrers Stefan sanierte das gesamte Dorf in der Zeit von 1979 bis 1981 die Kirche. Wer die damaligen Verhältnisse in der DDR noch kennt, wird sich denken können, dass dies ehrenamtlich und mit viel Phantasie und Organisationstalent geschah.

Als 1990 Maria von Katte nach Wust kam, brachte sie zwar kein Geld mit aber eine Idee. Sie gründete die Sommerschule von Wust. Seit 1991 kehrt nun jährlich im Sommer Leben ins Dorf. In zwei Durchgängen werden rund 300 Schüler von mehr als 20 Dozenten aus Eliteschule in England und den USA in Englisch unterrichtet. Nebenbei gibt es Workshops in Politik und Kunst und es wird Theater gespielt und Sport getrieben. Dass die Kirche in Wust während der Sommerschule nicht nur als Ort für Gottesdienste, sondern auch als Bühne eine zentrale Rolle spielt, ist vielen Menschen im Dorf zu verdanken. Oft stellt sich die Frage, was man in der heutigen Zeit mit alten Kirchengebäuden macht. In Wust hat man die Antwort auf diese Frage bereits gefunden.