Beschäftigt man sich mit der Romanik, kommt man an Hildesheim einfach nicht vorbei. Bei meinem ersten Besuch in Hildesheim ließ ich den Dom erst einmal links liegen, weil mir St. Michaelis doch etwas imposanter erschien. Nichts desto trotz beginnt die Geschichte der Stadt Hildesheim mit dem Dom und eines der ältesten Bistümer Deutschlands. Im Jahr 815 gründete Ludwig der Fromme, ein Sohn Karls des Großen, das Bistum.
178 Jahre nach der Gründung steht Bernward dem Bistum als Bischof vor. Was wir über Bernward wissen, verdanken wir seinem Lehrer Thangmar. Allerdings gibt es die originalen Schriften des Thangmar nicht mehr, sondern nur noch eine Überarbeitung aus dem 12. Jahrhundert. Diese Überarbeitung war notwendig um die Heiligsprechung Bernwards zu begründen. So wurde Bernwards Leben wohl einer gründlichen Revision unterzogen. Wir wissen also nicht, was an seiner Lebensgeschichte wahr und was geschönt ist. Es dürfte allerdings unumstritten sein, dass Bernward bevor er Bischof wurde am Ottonischen Kaiserhof Karriere machte. Erst war er Notar und dann Erzieher Otto III., dem späteren deutschen Kaiser und Sohn von Otto II. und seiner Frau Theophanu. Glaubt man dem überarbeiteten Lebenslauf Bernwards soll er ein unermüdlich Studierender gewesen sein mit außerordentlichen handwerklichen wie auch künstlerischen sowie philosophischen Fähigkeiten. Ein früher Leonardo da Vinci.
Wohl aus Dankbarkeit schenkte Otto III. Bernward eine kostbare Reliquie. Diese Reliquie wird noch heute im Bernwardskreuz, welches im Dommuseum ausgestellt wird, aufbewahrt. Eine angemessene Reaktion auf ein derart kostbares Geschenk war der Bau einer eigens hierfür bestimmten Kapelle. So wurde von Bernward die Heilig-Kreuz-Kapelle gestiftet. Schon in der Gründungsurkunde äußert er die Absicht an der Stelle der Kapelle ein Kloster zu errichten. Allerdings dauerte es dann wohl noch zehn Jahre bis mit dem Bau der Klosterkirche begonnen wurde. Auch fand man wohl einen geeigneteren Ort für ein Kloster, nämlich genau gegenüber dem Dom auf der anderen Seite der mittlerweile an der Domburg entstandenen Siedlung.
Als man 1908 Ausgrabungen in der Kirche vornahm, fand man diese Platte mit der Jahreszahl 1010 und eine weitere Platte mit Fragmenten einer Inschrift. Aufgrund der Lage der Steine geht man davon aus, dass diese am Ende der Fundamentierung der Kirche in das Bauwerk eingelassen wurden. Vermutlich gibt es von diesen Steinen genau zwölf, denn die Kirche wurde auf zwölf Steinen errichtet, die für die zwölf Grundsteine der Mauer von Jerusalem oder die zwölf Stämme Judas stehen. Man geht davon aus, dass die gesamte Kirche nicht abschnittsweise gebaut wurde, sondern dass alle Teile der Kirche gleichmäßig hochgezogen wurden. Das setzt natürlich eine sehr umfangreiche Vorplanung voraus. Wie muss man sich nun diesen Bau vorstellen.
Die Kirche wurde als Doppelchoranlage mit jeweils einem Querhaus im Osten und im Westen errichtet. Das heißt, sie hatte sowohl im Osten als auch im Westen einen Chor. Hier ist es nun so, dass der Ostchor wesentlich unspektakulärer in Erscheinung tritt. Es gibt eine Hauptapsis und zwei Nebenapsiden, wobei letztere doppelstöckig gebaut wurden. Eigentlich kann man auf der Ostseite kaum von einem Chor sprechen, denn der Chorraum an welchem die Hauptapsis anschließt ist sehr schmal.
Wenn man sich das Mauerwerk aus Sandstein genauer anschaut, erkennt man, dass hier nicht unbedingt auf Schönheit gearbeitet wurde. Es gibt keine durchgehenden Lagerfugen und damit auch keine Gleichmäßigkeit. Hier war wohl eine Bauhütte mit recht wenig Erfahrung im Sandsteinbau am Werk.
Im Gegensatz dazu steht der Westchor. Dieser ist nicht nur wesentlich größer und insgesamt imposanter, sondern auch im Mauerwerk gewissenhafter gearbeitet.
Wozu die Tür im Westchor diente, weiß man heute nicht mehr. Um sich diese Tür anzuschauen muss man auf die Straße an die Westseite der Kirche gehen. Schaut man durch die Gittertür am Gehweg wirkt der Westzugang zur Kirche ein wenig verwunschen und märchenhaft. Der Blick auf die Tür ist den kleinen Umweg wirklich wert. Einen romanischen Ursprung hat diese Tür bis auf die beiden Säulen wohl nicht.
Steht man nun vor dem südlichen Seitenschiff, so bemerkt man schnell, dass dies mit der Romanik so gut wie nichts zu tun hat. Im 15. Jahrhundert erfolgte der gotische Umbau. In der romanischen Zeit war die Fassade durch rote Sandsteinvorlagen gegliedert. Diese hat man zugunsten der neuen Fenster bis auf die mittlere entfernt. Blickt man nun hinauf zum Obergaden stellt man fest, dass das Mauerwerk hier nicht mehr aus großen Sandsteinquadern besteht, sondern sehr kleinteilig und damit unruhig wirkt. Es wird angenommen, dass der Abschluss des Langhauses unter Zeitnot und mit günstigerem Baumaterial erfolgte, um den Bau noch vor Bernwards Tod fertig zu stellen.
Die Kirche betritt man durch das gotische Portal auf der Südseite.
Durchquert man nun das Seitenschiff, weiß man nicht, wohin man sich als erstes wenden soll. Der Ostchor lockt mit der imposanten Statue, die sich durch ein Lichtspiel halbkreisförmig in der Apsis spiegelt. Der Westchor besticht durch seine Größe und die Krypta. Die Bilderdecke und die Säulenarkaden verbinden beide Teile.
Ich habe mich für den Ostchor entschieden.
Während heute der Blickfang das moderne Kruzifix des Darmstädter Künstlers Thomas Duttenhoefer ist, war es im 11. Jahrhundert die Christussäule aus Bronze. Heute befindet sich die Säule im Hildesheimer Dom. Zu Bernwards Zeiten befand sie sich unter dem Westbogen der Vierung. Sie zeigt 28 Begebenheiten aus dem Leben Christi, wie z.B. die Heilung eines Blinden bei Jericho und den Einzug in Jerusalem. Aber sie ist nicht mehr vollständig. 1544 haben durch die Reformation angetriebene Bilderstürmer das auf der Säule befindliche Triumphkreuz entfernt und zu einer Kanone umgegossen. Auch das Kapitell ist nicht mehr original. 1676 wurde es ebenfalls eingeschmolzen. An dessen Stelle trat ein hölzernes Kapitell, bis 1870 ein Hildesheimer Künstler ein neues Bronzekapitell für die Säule gegossen hat. Die Darstellungen am Kapitell entsprechen Zeichnungen aus dem 17. Jahrhundert. Vor der Christussäule stand der Kreuzaltar.
Eine zweite Säule befand sich im Langhaus. Diese stammte aus dem Mittelmeerraum und bestand aus Marmor. Wie schon Karl der Große und Otto I. hat auch Bernward antike Säulen als Symbol seiner Macht verwendet. Heute findet man die Säule in der Magdalenenkirche.
Steht man nun in der Vierung, also in der Mitte des Querhauses, dort wo es auf das Langhaus und den Chor trifft, sieht man vier quadratisch angeordnete hohe Rundbögen, die die Vierung einschließen. Dies nennt man eine ausgeschiedene Vierung. Auf diese Bauweise trifft man erstmals in St. Michaelis. Sie wurde richtungsweisend für viele später entstandene Kirchenbauten.
Ein weiteres Novum dieser Zeit waren die Würfelkapitelle. Diese schaffen die perfekte Verbindung zwischen runder Säule und quadratischem Kämpfer.
Zwei besondere Säulen befinden sich am nördlichen Seitenschiff. Es sind die beiden letzten Säulen auf der Ostseite. Die über dem Kapitell befindlichen Inschriften weisen darauf hin, dass hier einmal Reliquien verborgen waren. Diese beiden Säulen sind die letzten noch verbliebenen Säulen aus der Zeit Bernwards. Da hier an dieser Stelle eine Orgel stand, blieben die Säulen bei einer Sanierung im 11. Jahrhundert unversehrt.
Besonders imposant finde ich die Stirnseiten der Querhäuser. Diese weisen drei Etagen auf, die nach oben hin niedriger und kleinteiliger werden.
Die beiden Nebenapsiden sind doppelgeschossig. Warum dies so gebaut wurde, ist heute nicht mehr nachvollziehbar. Es ist aber bekannt, dass sich im unteren Teil der Apsiden Altäre befanden.
Der Wechsel der Säulen mit zwei runden und einer eckigen Säule nennt man auch niedersächsischen Stützenwechsel. Das Farbspiel von roter und weißer Farbe an den Bögen war bereits zu Bernwards Zeiten vorhanden. Allerdings wurden beim Bau nicht roter und weißer Sandstein verwendet. Die rote Färbung erreichte man durch einen Anstrich mit Eisenoxid.
Die Wände waren mit bunten Bildern versehen. Einen kleinen Eindruck von der Farbigkeit der Kirche bekommt man im Umgang der Krypta. Dort wurde ein Fries freigelegt, wie er zu Bernwards Zeiten die Kirchenwände schmückte. Wenden wir uns dem Westchor zu.
Wie schon gesagt, ist der Westchor wesentlich imposanter. Auch befand sich hier der Hauptaltar, welcher dem Erzengel Michael geweiht und somit auch Namensgeber der Kirche war. Ursprünglich erstreckte sich die Krypta nur unter den Bereich des Chores während sie heute bis in die Vierung hinein reicht. Stellt man sich nun den ursprünglichen Zustand vor, also im Bereich der Vierung einen mit dem Langhaus verbundenen ebenerdigen Fußboden und auch keine Orgel, muss man sich nun noch einen riesigen Radleuchter vorstellen, welcher von der Decke herab wohl die gesamte Vierung einnahm. Wenn man schon im Dom gewesen ist und sich den Radleuchter dort angesehen hat, kann man sich ungefähr eine Vorstellung davon machen, wie es ausgesehen haben muss. In dem Leuchter befand sich ein Fragment einer Porphyrvase, die ursprünglich einer der Krüge der Hochzeit zu Kana war.
Die Krypta betritt man über das Querhaus auf der südlichen oder der nördlichen Seite. Von hier aus gelangt man in den Rundgang um die Krypta. In den Außenwänden befinden sich halbrunde Nischen. Deren Funktion ist heute nicht mehr bekannt.
Im Mittelpunkt der Krypta steht der Marienaltar und das davor gelegene Grab Bernwards. Ursprünglich war die Ostwand der Krypta, also die Wand an der sich der Altar befindet zur Kirche hin geöffnet.
Am Michaelstag, den 29. September des Jahres 1015 wurde die Krypta zu Ehren der Gottesmutter Maria und der Himmlischen Heerscharen geweiht. Zu diesem Zeitpunkt war die Kirche noch voll im Bau. Wann die Mönche in das Kloster eingezogen sind, ist nicht bekannt. Es wird aber angenommen, dass bereits während des Baus die Mönche hier wohnten.
Erst sieben Jahre später erfolgt die Weihe der Kirche. Und hier muss man sich wirklich beeilt haben, denn Bernward war alt geworden und jederzeit konnte mit seinem Tod gerechnet werden. Seine Bestattung sollte in der Kryta erfolgen und so wundert es nicht, dass er wahrscheinlich auch seine eigene Grabanlage plante.
Der Sarkophag besteht aus einem massiven Sandsteinblock, welcher ausgehöhlt wurde. Da die Seitenwände nicht verziert sind, war der Sarkophag wohl in die Erde eingelassen worden. Der mit Reliefs versehene Deckel verschloss den Sarkophag. Die Reliefs zeigen neun von Flammen gerahmte Engel. Auf der darüber befindlichen Grabplatte ist eine umlaufende Inschrift eingelassen. Diese lautet: „Teil der Menschheit war ich, Bernward, jetzt liege ich gepresst in diesem schrecklichen Sarg, wertlos und, sieh nur, als Asche. Wehe mir, dass ich mein so hohes Amt nicht gut geführt habe! Gnädiger Friede sei meiner Seele beschieden, und ihr, singt euer Amen.“ (zitiert nach Wulf 2008) Wen wundert es, aber es wird vermutet, dass Bernward auch diesen Schriftzug verfasste. Er überließ tatsächlich nichts dem Zufall.
Am 20. November 1022 starb Bernward und wurde in der Krypta beigesetzt. Er wurde mit dem Kopf Richtung Westen bestattet, wie es üblich war.
Am Tag der Kirchweihe wurden auch die Klausurgebäude an den Abt Goderamnus übergeben. Von diesen Klausurgebäuden steht nur noch der Westflügel, der wohl auch aus der Zeit Bernwards stammt. Leider ist der Zugang hier nicht möglich, da der Klausurbereich Teil eines Tagungshotels ist. Um sich den hinter Glas befindlichen Westflügel anzusehen, muss man außen um den Ostchor herum laufen um in den Klosterhof zu gelangen. Einen öffentlichen Zugang von der Kirche aus gibt es nicht.
Abt Goderamnus wurde noch von Bernward in das Amt berufen. Im Besitz von Goderamnus befand sich eine Architekturzeichnung aus dem Jahr 800. Man geht deshalb davon aus, dass er genau wie Bernward sehr interessiert war an Kunst und Architektur. Eine Zusammenarbeit am Bau von St. Michael ist daher sehr wahrscheinlich.
Der auf Bernward folgende Bischof Godehard wollte die Gorzer Klosterreform durchsetzen. Aber offensichtlich waren die Mönche noch so im Andenken an Bernwards verhaftet, dass die Durchsetzung der Reform kaum möglich war. So entschloss man sich den Konvent einfach zu verlegen um damit die Verbindung zu Bernward zu kappen. Die Mönche zogen nur sieben Jahre nach Bernwards Tod nach Wrisbergholzen, südlich von Hildesheim um. Drei Jahre später ging es zurück nach Hildesheim. Die Kirche wurde neu geweiht und wohl erst zu diesem Zeitpunkt endgültig fertig gestellt. Am Pfingstsonnabend, den 01. Juni 1034 schlug der Blitz in die Kirche ein und verursachte einen Brand. Die Schäden waren wohl so umfangreich, dass ein Jahr später eine erneute Weihung der Kirche notwendig wurde.
Als 1162 erneut ein Brand in der Kirche wütete, war dies der Auslöser für umfangreiche Sanierungsarbeiten. Hierbei wurden die Säulen des Langhauses erneuert, außer die beiden schon erwähnten Säulen am nördlichen Seitenschiff auf der Ostseite der Kirche. Die neuen Säulen zeichnen sich durch reich geschmückte Kapitelle aus. Die Verschiedenartigkeit der Verarbeitung weist darauf hin, dass viele Steinmetze hier am Werk waren.
Im südlichen Seitenschiff findet man über den Kapitellen Figuren. Man nimmt an, dass das gesamte Langhaus derart verziert gewesen ist. Die Säulen mit den schmucklosen Kapitellen sind Ergänzungen, die den Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg geschuldet sind.
Aber die alten Säulen hat man nicht einfach entsorgt. So findet man eine der ursprünglichen Säulen umgearbeitet zu einer Stele mit einer Bernwardsbüste im südöstlichen Querhausarm.
24 Jahre nach Beginn der Sanierungsarbeiten wurden die wichtigsten Altäre der Kirche geweiht. Gemessen an der langen Bauzeit musste die Kirche in der Mitte des 12. Jahrhunderts einen recht jämmerlichen Eindruck gemacht haben.
Ende des 12. Jahrhunderts weilte ein römischer Kardinal in Hildesheim. Man hatte schon einige Jahrzehnte zuvor versucht Bernward heilig sprechen zu lassen, was aber bisher nicht gelang. Nun schien der Kardinal von Hildesheim wohl recht angetan zu sein und dies gab dem Vorhaben der Heiligsprechung neuen Schwung. Allerdings half man dieses Mal etwas nach, indem man die Vita Bernwards mit einigen wundersamen Ereignissen aufpeppte. Der Kardinal legte sich dann beim Papst richtig ins Zeug und so wurde Bernward am 19. Dezember 1192 heiliggesprochen. Dies war natürlich Anlass genug die Kirche einer Schönheitskur zu unterziehen.
Zuvor wurden allerdings die Gebeine des Bernward aus dem Sarkophag entfernt und in einem dem Heiligen würdigen Schrein verbracht. Wo der Schrein einst stand ist nicht mehr bekannt. Und wie es nun einmal so ist, wollten auch andere vom Ruhm profitieren und so kam es zu einem Streit zwischen dem Kloster und dem Domkapitel. In dessen Ergebnis musste der Schädel und der rechte Arm an das Domkapitel abgetreten werden. Noch heute befinden sich diese Reliquien im Domschatz.
Der Sarkophag verblieb in der Krypta als Kultstätte. Allerdings hat man die Krypta vergrößert indem man sie in Richtung der Vierung erweiterte und damit den Chor erhöhte. Südlich und nördlich des vorgezogenen Chores wurden Chorschranken angebracht. Es ist leider nur die Chorschranke im nördlichen Querhausarm erhalten geblieben. Die Figuren, die hier abgebildet sind stellen mittig die Mutter Gottes mit dem Christuskind dar. Neben ihr stehen Petrus und Paulus. Dann folgen Jacobus der Ältere und der Evangelist Johannes. Ganz außen sieht man Benedikt und Bernward. Ursprünglich waren die Chorschranken farbig gestaltet. Man konnte einige Farben rekonstruieren und so wurde festgestellt, dass der Hintergrund in blau gehalten war, die Gewänder hauptsächlich rot und grün und die Heiligenscheine selbstverständlich vergoldet. Die unterhalb der Chorschranke liegenden Bögen waren zur Krypta hin geöffnet. Der erhöhte Chor schloss zur Langhausseite mit einem Lettner ab.
Über die in der Chorschranke eingelassene Tür gelangten die Mönche ins Dormitorium, also den Schlafräumen im Bereich der Klausur.
Aus dieser Zeit hat sich der Benediktaltar in der östlichen Ecke des nördlichen Querhausarmes erhalten.
Am Ende der Umbauten zu Ehren der Heiligsprechung Bernwards stand die Fertigstellung der Bilderdecke im Langhaus. Sie hat eine Länge von 27,6 Meter und eine Breite von 8,6 Meter und ist damit nach der Kirchendecke von St. Martin in Zillis (Graubünden) die zweitälteste erhaltene Bilderdecke Mitteleuropas. Selbstverständlich wurden im Laufe der Jahrhunderte schadhafte Stellen ausgebessert und übermalt. Als 1650 der östliche Vierungsturm einstürzte wurde ein Teil der Bilderdecke zerstört und danach wieder rekonstruiert. Die letzte Sanierung erfolgte 1960 als die Bilderdecke nach der Auslagerung während des Zweiten Weltkrieges wieder ihren Platz in der Kirche fand. Das Programm der Decke liest man von Westen nach Osten. Die dargestellte Geschichte beginnt mit dem Sündenfall, über David, Salomo, Hiskia und Josia bis zu Maria und Christus als Weltenrichter. Somit verbindet die Decke die Erzählungen aus dem Alten Testament mit dem Neuen Testament. Eine tolle Idee ist die im Westteil des Langhauses aufgestellte „Lupe“ mit der man die Decke bis in ihre Einzelteile betrachten kann. In Verbindung mit den zur damaligen Zeit noch bemalten Wänden der Kirche muss der Eindruck für den Betrachter gewaltig gewesen sein.
Auch einhundert Jahre später hatte das Andenken an Bernward nicht an Kraft verloren. Die im Chor aufgestellte Grabplatte wurde im ersten Viertel des 14. Jahrhunderts gefertigt und deckte damals die in der Krypta befindliche ältere und wesentlich schlichtere Grabplatte ab. Da sie um einiges schmaler ist, muss sie noch mit einem Rahmen ausgestattet gewesen sein.
Auch der Schrein, in welchem die Knochen des Bernward aufbewahrt wurden, wurde vergoldet.
Wie in vielen anderen Klöstern dieser Zeit schlichen sich mit den Jahrzehnten Nachlässigkeiten bei der Lebensführung der Mönche ein. Dies ging so weit, dass die Mönche ein fast weltliches Leben führten. Es kam zu Streitigkeiten und Missgunst. Es wuchs aber auch der Wunsch wieder zur gemäßigten Lebensführung zurück zu kehren. Das Kloster schloss sich der Bursfelder Kongregation an. Dies war ein Zusammenschluss von Klöstern unter Leitung der Benediktinerabtei Bursfelde. Man kehrte zurück zu den Regeln des Heiligen Benedikt und war dem Stammkloster in allen Angelegenheiten rechenschaftspflichtig. Im Gegenzug unterstützte das Stammkloster aber auch bei finanziellen Engpässen, was wiederum den Einfluss des Bischofs und des jeweiligen Landesherren verringerte. Heute würde man sagen, es war eine klassische Win-Win-Situation. Im Falle von St. Michaelis konnte mit der Unterstützung des Stammklosters ein Gästehaus und eine Krankenstation gebaut werden.
Die Reformation besiegelte dann das Ende der Reformbewegung. Viele Klöster wurden protestantisch und verließen damit die Kongregation.
Noch kurz bevor die Reformation über das Land zog, wurden die gotischen Fenster im südlichen Seitenschiff eingebaut. Im Zweiten Weltkrieg wurden diese Fenster völlig zerstört. Beim Wiederaufbau hat man nur das östliche Fenster originalgetreu wiederaufgebaut. Bei den anderen drei Fenstern ist das schöne Maßwerk nur angedeutet.
Von der aus dieser Zeit stammenden Kanzel hat sich in der Kirche nur das Relief mit Bernward im Ostquerhaus und ein weiteres Relief im südlichen Westquerhaus erhalten. Die Kanzel selbst wurde im 19. Jahrhundert abgebaut. Weitere Teile befinden sich noch im Roemer-und-Pelizaeus-Museum.
Kurz bevor die Reformation Hildesheim erreichte, schrieb der Mönch Henning Rose, wohl in weiser Voraussicht oder aus leidvoller Erfahrung, die Geschichte des Klosters auf und kopierte die Vita Bernwards dreifach. In diesem Fall heißt kopieren, abschreiben. Ihm ist es zu verdanken, dass das Wissen um die Vergangenheit nicht mit der Reformation hinweggespült wurde.
Im Jahr 1543 wurde die Kirche dann den Lutheranern übergeben. Den katholischen Mönchen überließ man jedoch noch die Krypta mit dem Grab des Heiligen Bernward, den nordwestlichen Querhausarm und die Klausurgebäude. Die Instandhaltung der gesamten Kirche und auch eine protestantische Pfarrerstelle mussten jedoch die Mönche finanzieren. Diese finanzielle Last führte zum Ausverkauf. Vier kupferne Kronleuchter wurden eingeschmolzen. Insgesamt wurde Silber aus dem Kirchenschatz im Wert von 6.000 Mark verkauft. Die offensichtliche protestantische Bevormundung führte zum Abbruch des Lettners am Westchor und zur Entfernung von 21 Altären. Die Kirche verfiel Stück für Stück. Der Ausbruch des 30-jährigen Krieges machte die Situation nicht einfacher.
Im Juni 1650 stürzte der östliche Vierungsturm ein und beschädigte einen Teil der Bilderdecke und die östlichen Absiden wurden abgerissen. Anstelle des kleinen Vierungsturmes erhielt die Kirche nun einen massiven Turm. Zwölf Jahre später stürzte dann auch der westliche Vierungsturm ein. Er begrub die südliche Chorschranke, einen Teil der Krypta und den großen Radleuchter unter sich. Das im Radleuchter verwahrte Stück einer Porphyrvase zerbrach in viele Einzelstücke, die zu großen Teilen verloren gingen. Ein Teil wird im Dom aufbewahrt, ist jedoch nicht Teil der Ausstellung. Im Ergebnis des Einsturzes des Vierungsturmes wurde dann auch noch der südwestliche Querhausarm abgerissen. Die Kirche war nun nur noch ein Schatten ihrer selbst. Geld zur Instandhaltung war nicht vorhanden. So wurde dann auch noch das bronzene Kapitell der Bernwardssäule eingeschmolzen um zumindest die Hauptglocke der Kirche ersetzen zu können.
Ende des 17. Jahrhunderts wurden dann auch noch die Gebäude der Westklausur abgebrochen. An deren Stelle entstand die „kleine Michaeliskirche“, die dann den katholischen Mönchen als Gotteshaus diente.
Aber es entstand auch Neues. Das Gewölbe der Westvierung wurde abgerissen und der Westchor erhöht. Außerdem wurden die Fenster des Obergadens vergrößert.
Mit Abt Ludwig Hatteisen erlebte das Kloster in der Mitte des 18. Jahrhunderts eine kleine Reform, die auch eine wirtschaftliche Blüte nach sich zog. Die mittlerweile in einem hölzernen Gefäß untergebrachten Gebeine des Bernward zogen in einen silbernen Schrein um. Die Bernwardverehrung lebte kurz wieder auf. Es wurden auch neue Wirtschaftsgebäude gebaut, von denen heute nur noch das Portal auf dem Gelände des Gymnasiums Andreanum erhalten geblieben ist.
Mit Napoleon folgten dem kurzen Aufschwung 1803 die Auflösung des Klosters und auch die Auflösung der evangelischen Gemeinde. Die Funktion der Kirche ging auf die Magdalenenkirche über und auch der Kirchenschatz wanderte dorthin. Dies ist auch der Grund, warum man heute viele Ausstattungsgegenstände dort findet.
Nachdem die Kirche bereits seit Jahren als Heu- und Strohlager genutzt wurde, verfügte Jérome Bonaparte, der jüngste Bruder Napoleons der als König von Westfalen eingesetzt war, die endgültige Schließung der Kirche. Davon ausgespart wurde die Krypta mit der Bernwardsgruft. Aber auch mit der Niederlage und dem Rückzug Napoleons nach der Völkerschlacht bei Leipzig änderte sich für St. Michaelis nichts. Die Kirche blieb noch fast zehn weitere Jahre geschlossen. Sicherlich gab es Diskussionen über die Nutzung des Gebäudes, wir kennen dies aus der heutigen Zeit wohl zur Genüge. 1822 entschloss man sich dann, die Kirche zu einer Irrenanstalt umzubauen. Die Nordwand wurde abgerissen und in der Kirche entstand eine Kegelbahn. Vielleicht war dies eine Kompromisslösung. Die Stadt brauchte eine Irrenanstalt und das Volk wollte den Kegelsport, welcher bisher nur im Freien gespielt wurde, nun endlich wetterunabhängig ausüben. Und mal ehrlich, so eine Kirche bietet doch ideale Bedingungen. Es war die Zeit in der sich viele Kegelvereine gründeten und das Kegeln sich von einem Freizeitvergnügen zum Sport wandelte. Übrigens waren Friedrich Schiller und Johann Wolfgang von Goethe begeisterte Kegelfans.
Mitte des 19. Jahrhunderts war dann Schluss mit dem Vergnügen und auch die Irrenanstalt musste weichen. Bei der nun folgenden Diskussion, ob die Kirche nun an die evangelische oder katholische Gemeinde übergeben werden sollte, hatte man dann doch den wirtschaftlichen Aspekt vorgezogen und so zog eine Seilerei in das Gebäude.
Nach zehn weiteren Jahren entschied man sich dann doch, die Kirche wiederherzurichten. Hildesheim gehörte nun zum Königreich Hannover und offensichtlich war die Stadt finanziell etwas bessergestellt. Die Nordwand wurde auf dem alten Fundament wiedererrichtet, die Kirche bekam einen neuen Innenanstrich und auch die Bilderdecke wurde rekonstruiert. Das bereits 1618 angefertigte Bronzetaufbecken wurde nun in der Kirche aufgestellt.
Auch das Bothmersche Epitaph aus dem Jahre 1520 wurde im nordwestlichen Querhaus wieder aufgehängt. In der Inschrift wird als Todestag von Otto von Bothmer der „21. Juli 1616 alten Kalenders“ genannt. Der Zusatz „alter Kalender“ bezeichnet den zu diesem Zeitpunkt noch geltenden julianischen Kalender und wurde in der Inschrift wohl erst bei einer Restaurierung im 19. Jahrhundert hinzugefügt. Die Umstellung auf den bis heute gültigen gregorianischen Kalender erfolgte im Bistum Hildesheim im März 1631. Da das julianische Kalenderjahr etwa elf Minuten länger war als das Sonnenjahr, verschob sich der astronomische Frühlingsanfang seit Beginn der Zeitrechnung um ungefähr 13 Tage. Das heißt, die Sonne stand am 23. März (Frühlingsanfang im julianischen Kalender) nicht an der Position, an welcher sie zum Frühlingsanfang hätte stehen müssen. Die Umstellung auf den gregorianischen Kalender im Bistum Hildesheim erfolgte, indem man die Tage vom 15. bis 26. März 1631 einfach wegließ. Die Mathematiker unter den Lesern werden sich jetzt bestimmt denken, dass da was nicht stimmen kann, denn die Differenz betrug 13 Tage und nur 11 Tage wurden weggelassen. Die zwei übrigen Tage korrigierte man durch die Vorverlegung des Frühlingsanfanges vom 23. März im julianischen Kalender auf den 21. März im gregorianischen Kalender.
Mit dem Einzug der evangelischen Martinikirchengemeinde erhielt der Westchor das Johannesrentabel als Altaraufsatz. Ursprünglich hatte dieser Wandelaltar zu jeder Seite zwei Flügel. Die beiden äußeren Flügel befinden sich heute im Roemer-Pelizaeus-Museum.
Nach einer gründlichen Restaurierung der Krypta zog die katholische Magdalenengemeinde dort ein. Die Neugestaltung der Krypta erfolgte von Hermann Schaper, einem Künstler aus Hannover. Er hatte bereits in Berlin die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche am Breitscheidplatz und den Aachener Dom neugestaltet.
Den Abschluss der Sanierungsarbeiten bildete Anfang des 20. Jahrhunderts der Wiederaufbau des südwestlichen Querhausarmes mit dem Treppenturm und die Sanierung des nordwestlichen Querhauses.
Leider hatte man nicht lange Freude an der sanierten Kirche. Was die Jahrhunderte der Vernachlässigung der Kirche nicht geschafft haben, erledigte ein Bombenangriff am 22.03.1945. Ein paar Tage zuvor brannte die Klausur und die „kleine Michaeliskirche“ aus. Ein Teil des Westflügels blieb weitestgehend unversehrt. In weiser Voraussicht wurden bereits im Herbst 1941 die Bilderdecke, der Sarkophag und die Grabplatte von Bernwards Grab ausgelagert. Die nördliche Chorschranke wurde eingemauert. Ahnte man zu diesem Zeitpunkt schon, dass der Krieg nach Deutschland zurückkam?
Bei den Wiederaufbauarbeiten nutzte man die Gelegenheit zu Ausgrabungen am Gebäude. Hierbei entdeckte man die Fundamente der 1650 abgerissenen Nebenabsiden am Ostchor. Der New Yorker Chemiefabrikant Bernhard R. Armour, ein Jude, spendete sehr viel Geld für den Wiederaufbau der Kirche. Hierbei stellte man weitestgehend den mittelalterlichen Zustand wieder her. Im Jahr 1960 zog auch die Bilderdecke wieder an ihren angestammten Platz zurück.
In der jüngsten Vergangenheit kümmerte man sich um die Stabilisierung der Kirche. Der Bau wurde mit nur einem 1,45 Meter tiefen Fundament auf einem Baugrund aus Mergel gegründet. Durch die Lage auf einem Hügel driftet das Gebäude stetig nach Südwest ab. Durch ein an einem romanischen Bauwerk einmaligen Früherkennungssystem, welches aus 200 Messpunkten besteht, hat man nun die Bewegungen der Kirche im Blick und kann rechtzeitig eingreifen, wenn es erforderlich wird.
Durch diese Investition in die Zukunft wird der Bestand der Kirche sicherlich weitere Jahrhunderte gesichert sein und Zeugnis ablegen von der wechselvollen Geschichte mitten in Deutschland.