Die Kirche St. Johannis liegt ungefähr mittig zwischen der St. Petri und dem Kloster Unserer Lieben Frauen. Dem Anschein nach ist so gar nichts Romanisches an der Kirche. Und eigentlich wäre ich auch daran vorbei gegangen, wenn nicht ein menschliches Bedürfnis mich gezwungen hätte, hier einmal nachzufragen. Zuerst war ich verwundert, dass Eintritt verlangt wird. Aber was tut man nicht alles, wenn es eilig ist. Und da ich nun schon einmal in der Kirche war, warum sich nicht auch umschauen. Und was ich fand und im Nachgang noch alles recherchiert habe, ist allemal würdig als Nebenstraße der Romanik erwähnt zu werden.
Als Erstes sollte man wissen, dass diese Kirche eigentlich keine mehr ist, jedenfalls nicht im religiösen Sinne. Sie dient als Ausstellungs- und Veranstaltungsraum. Betritt man die ehemalige Kirchenhalle ist man schon beeindruckt von der Größe und die Verbindung von historischem und modernen.
Die ehemaligen Gewölbe waren bereits der Bombardierung im Januar 1945 zum Opfer gefallen.
Lange stand die Kirche als Ruine in der wieder aufgebauten Stadt. Erst nach der Wende wurde sie entsprechend ihrem neuen Zweck als Veranstaltungsraum wieder aufgebaut. Besonders beeindruckend finde ich, wie man die heraus gebrochenen Gewölbe dargestellt hat.
Aber was ist nun mit der Romanik?
St. Johannis gehört zu den ältesten Kirchen der Stadt Magdeburg. Schon zu Zeiten Otto des Großen wurde die Kirche erstmals erwähnt. Am 23. April 941 schenkte Otto I. den Mönchen des Moritzklosters eine „ecclesia plebeia“, also eine Volkskirche, wobei plebeia wohl eher für das „niedere Volk“ steht. Fünf Jahre später wird diese Schenkung in einem Dokument nochmals bestätigt. Auch hier wird von einer Volkskirche berichtet, aber dieses Mal als „ecclesia popularis“, eine etwas allgemeinere Bezeichnung für Volk. Ob die beiden unterschiedlichen Varianten der Benennung einen tatsächlichen Bezug auf die Nutzung der Kirche haben, weiß ich nicht.
Ungefähr 70 Jahre später, im Jahr 1015, berichtet Thietmar von Merseburg von dieser Kirche als „ecclesia mercatorum“, also Handels- oder Kaufmannskirche. In seinem Bericht erzählt er, dass Wächter in der Nacht an der Kirche Lichter gesehen und Stimmen gehört hätten und „die Besten der Stadt“ gerufen hätten. Wer auch immer „die Besten der Stadt“ waren, vielleicht wichtige Handwerksmeister oder Kaufleute. Waren in der Kirche vielleicht Waren gelagert worden, was sicherlich auch Diebe anzieht? Dass die Kirche offensichtlich bewacht wurde, spricht eigentlich dafür.
Für 1131 ist belegt, dass an der Stelle der Kaufmannskirche eine dreischiffige Basilika mit zwei durch einen Mittelbau verbundene Türme im Westen errichtet wurde. Geht man nun durch die Kirche in Richtung Osten findet man rechts einen Treppenabgang. Und geht man nun die Treppe hinunter, gelangt man Stufe für Stufe vom der Gegenwart in das 12. Jahrhundert.
Hier unten befindet man sich in der Krypta der romanischen Basilika.
Bei den Ausgrabungen, die auch noch an anderen Stellen der Kirche durchgeführt wurden, konnte man feststellen, dass das Kirchenschiff vermutlich eine Breite von 6,50 Meter und eine Länge von 26 Metern hatte. Die romanische Basilika war also wesentlich kleiner als die heutige Kirche. Die Türme der damaligen Kirche hatten auch noch keine Verbindung zu der jetzigen Turmgruppe.
Ich finde, dieser Raum eignet sich vortrefflich um die Geschichte auf sich wirken zu lassen.
1170 wird die Kirche wieder in einer Schenkungsurkunde benannt. Dieses Mal unterstellt Erzbischof Wichmann die Kirche dem Kloster Unserer Lieben Frauen. In diesem Dokument wird auch das Patronat zugunsten St. Johannis Evangelista genannt und die Kirche als „ecclesia forensem“ also Marktkirche bezeichnet. Tatsächlich steht sie nicht weit entfernt vom Alten Markt. Wer sich jetzt in der Umgebung umschaut und nach einen alten Markt mit Fachwerkhäusern und idyllischen Gässchen sucht, wird schwer enttäuscht. Die Geschichte hat alles weg gewischt und Platz gemacht für eine Plattenbauwohnsiedlung und eine moderne Einkaufsstraße.
Dabei sah es hier im 12. Jahrhundert ganz anders aus. Marktbuden aus Brettern, vielleicht war der Platz schon mit Kopfsteinpflaster befestigt, Händler, Kinder, Menschen mit Körben beim Einkauf, gut bekleidete Kaufleute und viel Geschrei. Wahrscheinlich gab es auch schon Baustellen rund um den Markt, denn guten Kaufleuten wurden die Bretterbuden zu klein und man baute sich Häuser aus Fachwerk, eine ziemlich moderne Art des Bauens im 12. Jahrhundert.
Magdeburg war eine aufstrebende Handelsstadt. Dies lag unter anderem auch an der Bronzeherstellung und -verarbeitung, für die diese Stadt berühmt war. Bis nach Nowgorod ist eine Bronzetür gelangt, die 1152-1154 hergestellt wurde und ursprünglich für den Dom des polnischen Bistums Plock vorgesehen war.
Aber auch in Magdeburg gibt es noch viele Zeugnisse dieser Handwerkskunst. So stammen die Grabplatten des Bischofs Wichmann und Friedrich von Wettin (das war der mit dem kleinen Männchen, dem Dornenauszieher, am Fußende) im Dom zu Magdeburg auch aus dieser Zeit.
Nach zwei Stadtbränden in 1188 und 1207 wurde die Kirche umgebaut. Ein Querhaus wurde errichtet und mit dem Bau der heutigen Türme begonnen. Auch der jetzige Chor muss aus dieser Zeit der Umbauten stammen, denn Putzritzungen an den Außenwänden datieren aus dem 13. bis 14. Jahrhundert. Die Krypta wird 1301 letztmalig erwähnt. Dort fand eine Ausstellung des Makkabäerklosters Köln statt, die die Reliquien der 10.000 Jungfrauen zeigte.
Aus der Zeit der Reformation ist überliefert, dass Martin Luther hier am 26. Juni 1524 predigte.
Und 150 Jahre später, am 02.07.1686 wurde Otto von Guericke in dieser Kirche beigesetzt. Wer war doch gerade dieser Otto, worauf sich Magdeburg in seiner Stadtbezeichnung „Ottostadt“ übrigens auch bezieht?
Otto gilt als Entdecker des Vakuums. Sein Experiment mit den Magdeburger Halbkugeln ist eigentlich das Ereignis welches man mit ihm in Verbindung bringt. Hierbei hat er zwei Halbkugeln aus Kupfer zusammengelegt, abgedichtet und mit einer Luftpumpe die Luft aus dem Innenraum heraus gezogen. Dann hat er vor jede Halbkugel acht Pferde gespannt und diese haben es nicht vermocht, diese beiden nur zusammengelegten Halbkugeln auseinander zu ziehen.
Vor dem Otto-von-Guericke-Museum findet man noch diese Halbkugeln.
Das war sie nun, die erste Nebenstraße der Romanik. Eigentlich eine kaum zu entdeckende Nebenstraße, aber sie spannt den Bogen von einer kleinen sicherlich bäuerlich geprägten Ansiedlung um ein Kloster auf einer Anhöhe am Grenzfluss Elbe bis zu einer quirligen Handwerks- und Handelsmetropole in der Mitte des Heiligen Römischen Reiches.