Auf dem Weg nach Salzwedel entdeckte ich im Vorbeifahren die direkt an der Bundesstraße gelegene Dorfkirche. Und so kam es zu einem unplanmäßigen Halt. Schon beim Herumgehen fielen mir die klaren romanischen Strukturen ins Auge. Die halbrunde Apsis, der Chor, das Langhaus und der rechteckige als Querriegel ausgebildete Turm. Die hoch angelegten kleinen Fenster mit den Feldsteineinfassungen zeigen den noch sehr ursprünglichen Zustand der Kirche. Der Eingang an der Nordseite war hübsch geschmückt. Ich platzte in die letzten Vorbereitungen zu einer Hochzeit. Und so blieben mir nur wenige Minuten. Nachdem ich die Kirche betrat, hätten allerdings auch die ersten fünf Sekunden gereicht, um mich davon zu überzeugen, dass ich unbedingt wiederkommen muss. Und so stand ich ein halbes Jahr später wieder hier. Dieses Mal hatte ich mehr Zeit und eine nette Begleitung, die so einiges über die Kirche zu berichten hatte.
Winterfeld liegt ca. 10 km südlich von Salzwedel an der B71. Im Jahr 1348 wurde das Dorf als Winterfelde im Zusammenhang mit dem Verkauf einer Hofstelle an einen Salzwedler Bürger erstmalig erwähnt. Aber die Geschichte des Dorfes beginnt viel früher.
Als Heinrich I., der Vater von Otto dem Großen, im Jahr 926 in das Gebiet der jetzigen Altmark kam, brachte er seine treuen Gefolgsleute mit, die schon so manche Schlachten für ihren Herren geschlagen hatten. Heinrich war gerade dabei mit den Ungarn einen Friedenspakt zu schließen, als er sich schon dem nächsten nervenden Nachbarn zuwandte, den Slawen. Die Altmark bot hierfür eine perfekte Ausgangsbasis. Die Region an der Elbe war dünn besiedelt. Er richtete Marken ein und es begann der Burgenbau an diesem strategisch günstigen Standort. Die Marken, die nichts anderes sind, als territorial festgelegte Grenzgebiete, besetzte Heinrich mit seinen Gefolgsleuten. Ob hier bereits der Ursprung des Adelsgeschlechts derer von Winterfeld gelegt wurde, kann mangels schriftlicher Nachweise nicht zweifelsfrei belegt werden. Fakt ist, dass das Dorf Winterfeld höchstwahrscheinlich der namensgebende Ort für die Familie war.
Nun dauert es etwas, bis sich eine kleine Hofstelle zu einer Ansiedlung und dann zu einem Dorf entwickelt. Aber die nächste Zeitmarke liefert die Kirche selbst. Die Priesterpforte an der Nordseite des Chores wurde dendrochronologisch untersucht und man stellte das Fälljahr des verwendeten Holzes auf 1204 fest. Somit wurde die Kirche zu Beginn des 13. Jahrhunderts errichtet. Spätestens zu diesem Zeitpunkt muss das Dorf Winterfeld schon bestanden haben. Wahrscheinlich wurde zuerst der Chor mit der Apsis erbaut und danach das Langhaus mit dem Turm angebaut.
Der wuchtige Turm lässt vermuten, dass die Dorfbevölkerung bei drohenden Gefahren hier Zuflucht gesucht hat. Ein typischer Fluchtturm ist es aber nicht, da die Tür an der Westseite wohl bereits beim Turmbau vorgesehen wurde und einen perfekten Angriffspunkt für den Feind geboten hätte. Allerdings muss der Turm wohl auch schon harte Zeiten durchlebt haben. Wenn man nämlich seinen Blick nach oben richtet, fällt unter den Schallfenstern ein großes Stück Feldsteinmauerwerk auf, welches stark von der ordentlichen reihenweisen Verarbeitung der Feldsteine abweicht. Hier muss der Turm beschädigt gewesen sein und man hat eher lieblos eine Reparatur vorgenommen.
Abgesehen von zwei Fenstern an der Nord- und Südseite des Chores hat die Kirche noch die Gestalt, die bereits im 13. Jahrhundert die Menschen sahen, die zu den Messen das Gotteshaus aufsuchten.
Betritt man nun die Kirche, lässt der erste Eindruck einen orientalischen oder orthodoxen Einfluss vermuten. Dies war aber nicht immer so. Ursprünglich war der Triumphbogen zwischen Chor und Langhaus nicht so orientalisch anmutend geschwungen, sondern eher so geformt wie der Apsisbogen. Wie die Kirche zum Zeitpunkt ihrer Erbauung ausgeschmückt war, weiß man nicht mehr.
Im Chor kann man auch noch einmal die aus dem Beginn des 13. Jahrhunderts stammende Priesterpforte bewundern. Optisch sicherlich keine Schönheit, aber wie bei so vielem zählen auch hier die inneren Werte.
Die jetzige Ausgestaltung zeigt Wandmalereien aus dem 15. Jahrhundert. Für diese Zeit typisch war die Darstellung des Weltgerichts, welches man in der Apsiskalotte findet.
Über dem Altaraufsatz sieht man Jesus auf einem Himmelsbogen sitzen. Links vom Jesus ist Maria dargestellt und rechts Johannes der Täufer. Im Spätmittelalter war diese Darstellung äußerst beliebt. Was die anderen Figuren im Chor bedeuten kann man nicht mit Gewissheit sagen.
Im 18. Jahrhundert wurden die hölzerne Hufeisenempore, die vergitterten Chorlogen und der Altaraufsatz eingebaut. Glücklicherweise hat man die Empore nicht so weit in das Kirchenschiff hineingebaut, so dass man noch ungefähr einen Eindruck von der Größe des Raumes bekommt.
Der Taufstein ist neogotisch und stammt damit wohl aus dem 19. Jahrhundert.
1930 wurden die Wandmalereien in Chor und in der Apsis entdeckt. Zwei Jahre später wurden sie dann freigelegt. Bei der darauffolgenden Restaurierung hat man nicht nur die Gesichter der Figuren stark verändert, sondern auch die Schriftzüge an den Seitenwänden des Chores eingefügt.
1953 erhielt der Kirchturm den Dachreiter.
Sicherlich ist die Winterfelder Dorfkirche nur eine von vielen romanischen Dorfkirchen in der Altmark. Aber schon allein wegen der beeindruckenden Ausmalung des Chores und der Apsis ist sie etwas ganz Besonderes, was man beim Vorbeifahren nicht vermutet. Und so zeigt diese altmärkische Kostbarkeit, dass ein genaueres Hinschauen auf jeden Fall lohnt.