Stark bewaldet und dünn besiedelt war die Gegend um Diesdorf wohl, als 1112 der Bischof Arnulf von Halberstadt einen Teil der Gegend hier dem Kloster Hamersleben überließ. Das Schriftstück hierzu gilt als Ersterwähnung von Diesdorf. Nun hatte jede Ansiedlung, sei sie auch noch so klein, eine Kirche. Nur hatte diese erste Kirche von Diesdorf noch nichts mit der Klosterkirche gemeinsam.  

Kein Geringerer als Heinrich der Löwe gründete in der Mitte des 12. Jahrhunderts fünf Grafschaften. Eine davon war die Grafschaft Lüchow, mit welcher der Graf von Warpke betraut wurde. Nach der Verlegung seines Wohnsitzes nach Lüchow nannte sich dieser auch entsprechend Graf von Lüchow. Wie schon in anderen Berichten erwähnt, gehörte es in Adelskreisen zum guten Ton ein Kloster zu gründen. Zwar verzichtete der Graf zugunsten des Klosters auf Ländereien, im Fall von Diesdorf waren es sieben Bauernhöfe, aber man stellte damit seine Wohltätigkeit und seine Frömmigkeit unter Beweis. Zudem diente das sogenannte Hauskloster als Grablege der Familie und praktischerweise auch als „Abstellort“ für Witwen oder ledige Töchter der Verwandtschaft.  

1161 wird also das Kloster in Diesdorf vom Graf Hermann von Lüchow gestiftet und im gleichen Jahr wird die Kirche vom Bischof Hermann von Verden geweiht. Kirchenrechtlich unterstand das Kloster also dem Bistum Verden. Eigentlich war das Kloster aber gar keines. Es wurde nämlich als Chorherren- und frauenstift gegründet. Da sich aber die Chorherren und Chorfrauen derart strengen Regeln unterwarfen, wurde das Stift auch als Kloster bezeichnet. 

Schon um 1200 wird allerdings nur noch von einem Frauenkloster berichtet. Warum die Chorherren das Stift verlassen haben, ist nicht bekannt und man kann darüber jetzt vortrefflich spekulieren. Sie hatten wohl ihre Gründe.

Wie muss man sich das Kloster oder richtigerweise das Stift damals vorstellen. Dazu ist es am besten man dreht einfach mal eine Runde um die Kirche, die als einziges Bauwerk einer gesamten Klosteranlage erhalten geblieben ist.

Erbaut wurde die Kirche im Stil der Backsteinromanik.  Rundbögen, sich konisch nach außen öffnende Fenster und Kreuzbogenfriese sind typische Baumerkmale der Romanik, die hier mustergültig zu finden sind. Über dem Kreuzbogenfries zieht sich noch das Deutsche Band, teilweise sogar doppelt übereinander angeordnet.

Geht man nun um die Apsis herum erkennt man deutliche Farbunterschiede an der Nordwand des Chores. Hier stand bis 1951 die Sakristei, welche aufgrund ihrer Baufälligkeit abgerissen werden musste. Die halbrunde Apsis war natürlich nicht vorhanden, wurde jedoch nach dem Abriss der Sakristei auf alten Fundamenten wieder errichtet. Demnach stellt wohl der jetzige Zustand den ursprünglichen Zustand vor Anbau der Sakristei dar.

An das nördliche Querhaus schloss sich das Dormitorium an. Ein zweigeschossiger langgestreckter Bau, der im zweiten Geschoss einen direkten Zugang zur Nonnenempore hatte, was noch gut an den Ziegelstrukturen zu erkennen ist. Als Anhaltspunkt für die Höhe dieses Gebäudes kann man sich vielleicht das Seitenschiff nehmen.

Im weiteren Verlauf schließt sich an das Querhaus noch ein weiterer Giebelbau an. Dieser wurde wohl erst 100 Jahre nach der Errichtung der Kirche angebaut. Die Gotik hatte bereits Einzug gehalten und so findet man hier ein großes mit Spitzbogen versehenes Fenster. Die romanische Ornamentik, die sich noch am Querhaus befindet wurde am Anbau nicht mehr weiter geführt. 

Mit unserem jetzigen Standort befinden wir uns übrigens gerade mitten auf dem ehemaligen Klosterfriedhof.

Der breite Westbau erinnert etwas an den für die Altmark typischen Querriegel.

Und schon stehen wir vor dem Hauptportal der Kirche. Das Portal macht einen eindeutig romanischen Eindruck, während der Turmunterbau auch schon einige gotische Züge trägt.

Hervorzuheben sind die an den Säulen eingearbeiteten glasierten Formsteine. Gerade die braune Glasur ist in ihrem Vorkommen relativ selten.

Aber nun betreten wir die Kirche.

Der rote Backstein ist allgegenwärtig. Aber das war nicht immer so. Weiß getüncht war die Kirche ursprünglich. Wahrscheinlich zierten bunte Malereien die Wände.

Während viele romanische Kirchen starke gotische Umbauten erfahren haben, sind hier die Kreuzgratgewölbe sowohl im Hauptschiff als auch in den Seitenschiffen noch original erhalten.

Gleiches gilt für die Rundbögen, Pfeiler, Säulen und Kapitelle.

In der Mitte des 13. Jahrhunderts ging es dem Kloster wirtschaftlich hervorragend. 31 Dörfer versorgten das Kloster. Kaiser Karl IV. trug durch Schenkungen maßgeblich am Wohlstand des Klosters bei. Aber das tat er nicht, weil er so ein großes Herz hatte. Nein, klare politische und wirtschaftliche Interessen verband er mit der Förderung. Viele Städte in der Altmark waren zu diesem Zeitpunkt bereits Mitglied der Hanse und Karl erhoffte sich maßgeblichen Einfluss auf diesen Städtebund. Aber viel wichtiger war ihm die mit der Mark Brandenburg verbundene Kurwürde. Schließlich wollte er Kaiser des Heiligen Römischen Reiches bleiben und brauchte hierzu die Unterstützung der Kurfürsten. Da war es schon ein ziemlich cooler Schachzug, wenn man als Kaiser auch gleichzeitig eine Kurfürstenstimme besaß und sich so selber wählen konnte.

Der Wohlstand des Klosters äußerte sich auch in der Erweiterung der Anlage. So wurde das nördliche Querhaus nach Westen erweitert und damit die Nonnenempore um das doppelte vergrößert.

Um auf die Nonnenempore zu gelangen geht man durch die Krypta. Die Bezeichnung als Krypta ist etwas irreführend. Eigentlich ist der Raum unter der Empore eher eine Kapelle, mutet aber aufgrund ihrer Bauweise an wie eine Krypta.

Ursprünglich besaß dieser Raum keine Fenster. Erst 1880 wurden die Fenster eingebaut.

Wenn man die Empore betritt, gelangt man zuerst in den jüngeren Teil, also dem Erweiterungsbau. Der große Raum ließ sich mit der Kamera gar nicht erfassen. Die Wand zwischen dem Erweiterungsbau und der ursprünglichen Empore gab es im 13. Jahrhundert nicht, so dass den Stiftsfrauen ein riesiger Raum zur Verfügung stand. Der Platzbedarf muss wohl vorhanden gewesen sein. Die Gotik war zur Zeit des Baus der Erweiterung der Nonnenempore eingezogen und so hatten die Fenster Spitzbögen und der Raum wird durch ein Kreuzrippengewölbe überspannt.

Der Schlussstein zeigt das Angus Dei. Ein Lamm als Symbol für Jesus Christus und als Osterlamm steht es für die Auferstehung

Durchquert man nun diesen Raum gelangt man auf den ältesten Teil der Empore. Und hier findet man dann auch den ehemaligen Zugang vom Dormitorium, also den Schlafräumen der Stiftsfrauen, zur Empore. Diese konnte man bereits beim Kirchenrundgang außen an der Ziegelstruktur erkennen.

Die Stühle muss man sich einfach wegdenken, auch die Wand zwischen den beiden Räumen. Weiß getünchte mit bunten Bildern versehene Wände und entlang der Längswände stand das Chorgestühl. Der Altar befand sich an der Ostseite, also im Bereich der halbrunden Apsis. Und so saßen die Stiftsfrauen während Ihrer Gebete auf der Empore. Der direkte Zugang von den Schlafräumen auf die Empore war sicherlich zu den Nachtgebeten besonders hilfreich. Die Liebe zu Gott muss grenzenlos gewesen sein, wenn man sich vorstellt, wie feucht und kalt es in den Winternächten hier gewesen sein muss.

An der gegenüberliegenden Wand stehen übrigens noch Reste des barocken Altares.

Mit der Erweiterung der Nonnenempore hatte man natürlich nun auch noch etwas Platz im Erdgeschoss geschaffen. Diesen Platz unter der Empore nutzte man zum Einbau einer Heilig-Grab-Kapelle.

Ende des 15. Jahrhunderts entsteht das mächtige Triumphkreuz.

 

Zu dieser Zeit bezog das Kloster seine Einkünfte aus 75 Dörfern. Während es im Hochmittelalter üblich war, seine Abgaben in Form von Naturalien zu leisten, ging man im Spätmittelalter dazu über Geldabgaben zu leisten. Da das Kloster mittlerweile auch der größte Arbeitgeber war, man beschäftigte an die 20 Handwerker und diverses Gesinde, war die Einnahme von Geld auch zwingend nötig.

Neben den Einkünften aus dem Kirchenzehnt erzielten die Nonnen oder Stiftsfrauen auch Einnahmen mit der Erziehung von Kindern aus adligen Familien und zunehmend auch aus der sich entwickelnden bürgerlichen Oberschicht.

 

 

 

Aber auch viele Familienmitglieder der Grafenfamilie derer von Lüchow lebten im Kloster. Dass das Kloster auch als Grablege diente, erwähnte ich schon und so kann man die Grabplatte von Graf Heinrich II. von Lüchow im nördlichen Seitenschiff sehen, welcher am 02. Oktober 1273 verstorben ist.

Die Reformation läutete das Ende des Klosterlebens ein. Zahlreiche Visitationen setzten der Gemeinschaft der Nonnen zu. 1551 wird das Kloster aufgehoben. Die mittlerweile protestantischen Stiftsdamen lebten weiter auf dem Klostergelände, jedoch nicht mehr unbequem in kalten und zugigen Schlafsälen sondern in einzelnen Wohnhäusern, die rund um die Klosterkirche errichtet wurden. Aber nicht nur die Nonnen machten es sich bequem. Auch der Probst genoss die Vorzüge der neuen Religion. Er heiratete.

So überbrückte man noch einmal 30 Jahre bis das Kloster in landesherrliche Verwaltung kam und zur Domäne wurde. Die Ländereien wurden verpachtet und auf dem Gelände des ehemaligen Klosters wurde Viehwirtschaft betrieben. Dass das Kloster zuvor bereits ein Wirtschaftsbetrieb war, kam der neuen Verwaltung nur entgegen.

Aus der Zeit um 1700 stammt der im Chorraum hängende Kronleuchter. Wenn man sich den Kronleuchter richtig anschaut, findet man einen doppelköpfigen Adler, das Herrschaftszeichen der Habsburger. Aber was machen die Habsburger in der Altmark? Der Kronleuchter aus Bronze stammt aus Flandern, dem jetzigen Belgien. Wann und unter welchen Umständen der Kronleuchter nach Diesdorf kam, ist nicht bekannt. Aber gegen Ende des 18. Jahrhunderts, ungefähr mit der Französischen Revolution, errang Belgien seine Unabhängigkeit vom Römisch-Deutschen Reich und damit von der Herrschaft der Habsburger. Vielleicht wollte dann niemand mehr den Kronleuchter mit den habsburgischen Symbolen haben und er kam über Händler nach Diesdorf. An der Decke der Nonnenempore fand er jedenfalls einen guten Platz bis er dann mit der endgültigen Auflösung des Klosters im Chorraum aufgehängt wurde.

Das Ende des Klosters wurde dann mit Napoleon oder genauer mit der Regentschaft seines Bruders Jérome Bonaparte eingeläutet. Das Kloster wurde nun endgültig aufgelöst. Die letzte Stiftsdame, war Charlotte Louise von Dequede, welche 1828 starb. Die Klosterkirche wurde zur Pfarrkirche. Nun begann eine Zeit der Veränderungen. Der kleine Glockenturm über der Nonnenempore wurde abgerissen. Die Glocken kamen in den Westturm. Bei einem Großbrand im Jahr 1829 löste sich das Pfarrarchiv in Flammen auf. Einige Jahre später wurden das Dormitorium, ein Kornspeicher und viele der umstehenden Häuser, in welchen die Stiftsdamen lebten, abgerissen. Die Kirche bekam nun auch das Aussehen einer Pfarrkirche.

Mitte des 19. Jahrhunderts begannen umfangreiche Sanierungsarbeiten. Eine neue Orgelempore wurde gebaut und eine neue Orgel angeschafft. Das südliche Querhaus erhielt eine Empore, welche der des Nordquerhauses angeglichen wurde.

Die steinerne Kanzel wurde errichtet und die Fenster wurden erneuert. Bis zu diesem Zeitpunkt war die Kirche noch weiß getüncht. Mit der Sanierung erhielt sie dann ihr jetziges Erscheinungsbild. Schaut man genau hin, erkennt man, dass nicht der rohe Backstein der Kirche ihr Aussehen verleiht, sondern dass die Kirche rot gestrichen wurde und die weißen Fugen aufgezeichnet sind.

Die Apsis erhielt einen blauen Sternenhimmel, so wie der in der Klosterkirche in Hillersleben. Dies schien zu dieser Zeit gerade groß in Mode gekommen zu sein. Auf meiner Tour durch die Altmark ist mir diese Gestaltung der Apsis noch mehrfach begegnet.

Nach dem Abriss des Dachreiters auf dem Westbau wurde dieser durch den mächtigen Mittelturm ersetzt.

Die Sanierungsarbeiten endeten dann mit dem Einbau der Fenster in der Krypta und dem Einzug der Wand auf der Nonnenempore und damit der Errichtung des Mariensaales.

Als nun am 08. März 1888 die Glocken anlässlich des Todes von Kaiser Wilhelm I. geläutet wurden, zersprang eine Glocke des Geläutes. Dies war der Beginn einer wie ein Märchen anmutenden Geschichte um die Glocken von Diesdorf. Im 1. Weltkrieg wurden zwei der vier Glocken eingeschmolzen. Im 2. Weltkrieg ereilt eine der noch verbliebenen zwei Glocken das gleiche Schicksal. Die kleinste Glocke aus der Zeit um 1652 verblieb im Turm. Einen wunderschönen Klang sollen die vier Glocken gehabt haben und wie jämmerlich muss dagegen die eine kleine Glocke geklungen haben. So bekam man Anfang der 50-er Jahre durch eine Spendenaktion 12.000 Mark (Ost) zusammen und finanzierte damit vier neue Eisen-Hartgussglocken, die nach vielen Widrigkeiten 1957 ihren Platz im Turm fanden.

Nach der Wende meldete sich dann der Westberliner Arzt, Dr. Otto Boese, der ursprünglich aus Diesdorf stammte. Über die 40 Jahre DDR hat er nie den Kontakt zu seiner Heimat verloren und so stiftete er eine neue Bronzeglocke, die eine der Stahlgussglocken ersetzte. Als diese Glocke nun angeliefert und mittels Kran in den Turm gehoben wurde, stürzte sie aus einer Höhe von vier Metern ab und zerschlug. Noch im gleichen Jahr wurde eine neue Glocke geliefert, die dann auch glücklich oben im Glockenturm ankam. Aber irgendwie war es nur ein halbes Werk, dachte sich der Spender und so stiftete er 2006 auch noch die anderen drei Bronzeglocken. Im Jahr darauf verstarb Dr. Boese und wurde auf dem Diesdorfer Friedhof beigesetzt.

Die letzte große Veränderung erfuhr die Kirche 1971 mit dem Abriss der Empore im südlichen Querhaus, welche erst 1863 errichtet wurde. In den folgenden Jahren wurden immer wieder Sanierungsarbeiten durchgeführt.

Die Aufnahme der Kirche in die „Straße der Romanik“ ist letztendlich eine Würdigung der Arbeit und der Großzügigkeit vieler Menschen, die mit, von und für die Kirche gelebt und gearbeitet haben.