Diesen Bericht beginne ich mal ganz praktisch mit einem Verkehrshinweis. Wenn man den Ort Hundisburg mit dem Auto besucht, sollte man sich nicht zu sehr auf das Navi konzentrieren. Ich habe es getan und dabei offensichtlich ein Durchfahrtsverbotsschild an der Straße zur Ruine übersehen. Es ist nicht gern gesehen, wenn man den Weg dort hinauf mit dem Auto fährt und ich hätte es auch nicht getan, wenn ich besser aufgepasst hätte. Glücklicherweise fiel ich dem Dorfpolizisten nicht in die Hände und blieb von einem Strafzettel verschont. Aber bequemer war es mit dem Auto schon.
Die gewaltige Ruine, die von einer großen nicht mehr vorhandenen Kirche zeugt, war ursprünglich der Mittelpunkt des Dorfes Nordhusen. Die Aufzeichnungen zu dieser Gegend beginnen mit dem Jahr 1012. In diesem Dokument wird der Grenzverlauf zwischen dem Erzbistum Magdeburg und dem Bistum Halberstadt geklärt. Hier wo wir jetzt stehen war das Gebiet des Bistums Halberstadt und gegenüber, jenseits des kleinen Flüsschens Beber auf der Seite der Hundisburg befanden sich die Gebiete des Erzbistums Magdeburg. Die Klärung der Grenze war erforderlich, da 40 Jahre zuvor das Bistum Halberstadt große Gebiete an das neu gegründete Erzbistum Magdeburg verliert. Sicherlich war dies für die Halberstädter nicht sehr erfreulich. Mitte des 12. Jahrhunderts sicherte dann Magdeburg die Grenze durch eine Burg auf einem nahe der Beber gelegenen Hügel. Der Beginn der Geschichte der Hunoldäsburg.
Auf dieser Seite der Beber, ebenfalls auf einem Hügel, entstand das Dorf Nordhusen. Vielleicht diente der in seinen Ausmaßen gewaltige Querriegel der Kirche auch der Verteidigung der Grenze, nur eben von der anderen Seite der Beber. Zumindest sollte er wohl so wirken. Immerhin war der Kirchturm größer als der in den schon städtischen Zügen tragenden Ortschaften in der Umgebung. Wenn man die Ruine des Kirchturmes näher betrachtet, stellt man fest, dass das Kirchenschiff mit dem Turm durch zwei große Arkaden verbunden war. Einen höher gelegenen Eingang am Turm findet man auch nicht. Somit dürfte der Turm als Schutzturm wohl ungeeignet gewesen sein.
An der Kirchturmruine lässt sich noch heute erkennen, dass das Kirchenschiff schmaler war als der Turm, auf jeder Seite ungefähr einen Meter. Auch fehlen Hinweise auf ein Gewölbe, so dass man davon ausgehen kann, dass die für die Romanik flache Holzdecke hier vorhanden war. Noch heute sind alte Putzreste vorhanden.
Unabhängig von der Grenze der Bistümer Halberstadt und Magdeburg war die Kapelle zu Hundisburg ein Filial der Kirche in Nordhusen. Zumindest geht aus einer Urkunde von 1218 hervor, dass der Halberstädter Bischof, also der, der für Nordhusen zuständig war, den Magdeburger Erzbischof bevollmächtigte, die Weihe der Kapelle in Hundisburg vorzunehmen. Diese Urkunde gilt als Ersterwähnung des Dorfes Nordhusen. 1267 zerstreiten sich die Pfarrer beider Kirchen derart, dass beide Kirchen getrennt werden.
Über das Dorf Nordhusen ist nur wenig bekannt. Es existierte auch nicht sehr lange. Was führte also zur Aufgabe des Dorfes. Hierzu gibt es zwei Theorien. Einerseits wird gesagt, dass das Dorf im Zusammenhang mit einer Belagerung der Burg zerstört wurde, andererseits wird vermutet, dass das Dorf langsam an Bedeutung verlor, da die Bewohner in die Nähe der Burg abwanderten. Vielleicht findet man die Wahrheit in der Mitte. Fakt ist, dass die Burg des Öfteren belagert wurde. Von 1213 bis 1319, also in gut 100 Jahren sind drei Belagerungen bekannt. Besondere Leittragende einer solchen Belagerung waren immer die in der Nähe der Burg gelegenen Dörfer. Die Belagerer wollten versorgt werden und man bediente sich eben am Eigentum der Bauern.
So war das Leben unmittelbar in der Nähe einer Burg sicherlich nicht sonderlich attraktiv. Hinzu kam, dass im 13. Jahrhundert die Burgmannen nicht mehr unbedingt auf der zugigen, unbequemen Burg wohnen mussten. Man zog es vor um die Burg herum gut befestigte Ritterhöfe zu bauen. In Hundisburg gab es hiervon, der Überlieferung nach, mindestens sechs. Zwei Höfe sind noch in Teilen erhalten, der Boitzhof und der Ritterhof. Der Boitzhof verfügt sogar noch über einen aus dem 13. Jahrhundert stammenden Wohnturm. Im Schutz der Burg und vor allem der Ritterhöfe ließ es sich sicherlich gefahrloser leben und so begann die allmähliche Abwanderung aus Nordhusen.
Und was wäre eine Ruine ohne Gruselgeschichte. So rankt sich die Sage der Schlüsselfrau um die Kirchturmruine. Bei der Zerstörung des Dorfes blieb ein Haus verschont. Dieses Haus stand wohl westlich der Kirche. Dort wohnte eine sehr hübsche Jungfrau. Beim Überfall auf das Dorf flüchteten die Bewohner auf die nahegelegene Burg. Nur die Jungfrau blieb in ihrem Haus und hängte ein schwarzes Kreuz außen an die Haustür. Das Dorf wurde niedergebrannt und nur das Haus der Jungfrau wurde von den Flammen verschont. Keiner der Bewohner kehrte in das Dorf zurück, nur die Jungfrau blieb in ihrem Haus wohnen. Da man davon ausging, dass die Frau mit dem Feind gemeinsame Sache gemacht hat, gab es auch keinen Kontakt mehr zwischen der Frau und den ehemaligen Dorfbewohnern, die bei der Burg wohnen blieben. So lebte die Frau noch viele Jahre einsam im Dorf. Dann wurde sie über längere Zeit nicht mehr gesehen. Aber eines Tages sah man eine Frau in einem weißen Gewand. Am Gürtel des Kleides hing ein Schlüsselbund mit vielen Schlüsseln. Mit diesen Schlüsseln konnte die Frau die Felsenberge rund um den Felsen der Hunoldisburg aufschließen und in das Innere gelangen.
Bis heute geht man davon aus, dass die „weiße Frau“ des nächtens in der Turmruine spukt. Erst 2008 untersuchten die „Ghostwatchers“ die Ruine auf paranormale Erscheinungen, nachdem der Dorfpolizist zehn Monate auf der Lauer lag und Fotos mit weißen Spiegelungen schoss. Geistererscheinungen konnten nicht festgestellt werden. Ich würde mich trotzdem nicht des nächtens in die Nähe der Ruine wagen.
Bis 1458 gibt es noch Berichte über Zahlungen an Lehnsherren und den Verkauf von Hofstellen. Kurz darauf muss das Dorf dann wohl wüst gelegen haben. Auch die „weiße Frau“ dürfte zu diesem Zeitpunkt schon verstorben sein und trieb spukender Weise ihr Unwesen. Die Kirche verfiel und die Gebäude wurden wohl zum Zwecke der Wiedergewinnung von Baumaterial abgerissen. Nur der gewaltige Kirchturm überstand die Zeiten. Grund hierfür dürfte das Schutzbedürfnis der Burgherren gewesen sein. So diente die Ruine wohl als Aussichtsturm.
Im ausgehenden 18. bis hinein in das 19. Jahrhundert fand man dann eine andere Verwendung für die Ruine. Die Zeit der Romantik griff die Sagen- und Mythenwelt des Mittelalters wieder auf. In die Natur eingebettete Ruinen waren so das bevorzugte Motiv für Maler. Das prominenteste Beispiel dieser Zeit ist wohl das Heidelberger Schloss. Und wer eine solche Ruine dann auch noch in Blickrichtung hatte, konnte sich glücklich schätzen.
Und so endet die Geschichte der Turmruine von Nordhusen. Jetzt zeugt sie von der Vergänglichkeit menschlichen Wirkens und dank der Aufnahme in die Straße der Romanik wird sie sicherlich noch lange Heimat für die weiße Frau mit den Schlüsseln sein.