In unmittelbarer Nähe zum Dom, nämlich direkt gegenüber, befindet sich die katholische Kirche St. Sebastian.
Im Jahr 1015, also vor gut eintausend Jahren, beginnt die Geschichte der Kirche. An der Stelle des Domes stand zu diesem Zeitpunkt das von Otto I. errichtete Benediktinerkloster mit der großen Basilika, dem Ottonischen Dom. Magdeburg war in dieser Zeit eine aufstrebende Metropole und so etwas wie eine Grenzstadt. Einige Jahre zuvor eroberten die Slawen die Gebiete der Bistümer Havelberg und Brandenburg zurück. Nun war die Elbe wieder Grenze zwischen den Heiligen Römischen Reich deutscher Nation und dem Gebiet der Slawen. Darüber hinaus war Magdeburg ein Erzbistum, dem das wesentlich ältere Bistum Halberstadt und weitere Bistümer unterstellt waren. Da war es nur logisch, dass Kirchen, wie St. Sebastian und zwei Jahre später eine Stiftskirche an der Stelle des späteren Klosters Unserer Lieben Frauen förmlich aus dem Boden gestampft wurden.
Erzbischof Gero von Magdeburg nahm die Grundsteinlegung in diesem Jahr vor und stiftete ein Kollegiatstift zu Ehren des Heiligen Sebastian und Johannes Evangelist. Ein Kollegiatstift ist eine Gemeinschaft von Kanonikern. Kanoniker sind so etwas wie Mönche, gehören jedoch keinem Orden an, sondern sind nur dem Stift gegenüber verpflichtet. Für sie gelten auch nicht so strenge Regeln, wie für die Mönche in einem Orden. So legen diese kein Gelübde ab und können demnach auch aus dem Stift austreten. Zudem behalten sie ihren weltlichen Besitz.
Als Gero acht Jahre später starb, wurde er in der Kirche beigesetzt. Im Laufe der nächsten 150 Jahre wurde die Kirche zu einer romanischen Basilika umgebaut und 1169 erneut geweiht. Mit der Erlangung der Kopfreliquie des Heiligen Sebastian verlor Johannes Evangelist als Patron der Kirche an Bedeutung. Sebastian ist der Schutzheilige der Soldaten und Kriegsinvaliden und steht zudem auch als Heiliger gegen die Pest und andere Seuchen.
Wie kommt es eigentlich, dass die romanischen Kirchen anfangs einfach nur großen Hallen waren? Um das zu klären muss man in der Geschichte etwas zurückgehen. Die Römer bauten große Hallen um zu repräsentieren. Das bekannteste Beispiel hierfür in Deutschland ist die Konstantinbasilika in Trier. Diese war zu Zeiten der Römer Empfangssaal und Audienzraum. Je größer umso mächtiger sein Erbauer. Eben besagter römischer Kaiser Konstantin begründete das Christentum als Staatsreligion im Römischen Reich. Bis dahin mussten sich die Christen verstecken. Es gab kleine Räume in privaten Häusern in welchen die Christen ihre Riten feierten. Den römischen Göttern wurden jedoch in großen Tempeln gedacht. Nun gab es nur noch diesen einen Gott. Und natürlich brauchte auch dieser einen großen Raum und so wurden die römischen Basiliken die Vorbilder der ersten Kirchen.
Kurz nach der Weihe im Jahr 1188 brannte die Kirche das erste Mal aus. Brände in romanischen Kirchen waren nicht selten. Ein zu achtloser Umgang mit Kerzen, Leuchtern und Kienspänen führte oft zum Funkenflug, was schnell die trockenen Hölzer der Decke in Brand setzte. 1207 wiederholte sich dieses Schicksal bei einem Stadtbrand.
Trotz allem sind noch romanische Spuren an der Kirche zu erkennen. Um diese zu entdecken, muss man einfach mit offenen Augen um die Kirche gehen.
Auch Steinmetzzeichen findet man noch bei genauem Hinschauen. Die Bedeutung der Steinmetzzeichen ist noch nicht so ganz geklärt. Einerseits sollen sie eine Art Markenzeichen sein, andererseits wird aber auch vermutet, dass die Zeichen der Abrechnung am Ende des Arbeitstages dienten.
Wenn man auf der Südseite in Richtung Osten geht, kann man am Seitenschiff einige Reste des geplanten aber nie realisierten Chorseitenschiffes erkennen.
Nach den Stadtbränden wurden die Türme angebaut.
Auch die Türme weisen eindeutige romanische Merkmale auf. Würde man sich die Türme wegdenken, hätte man den typischen massiven romanischen Querriegel. Aber auch die seitlich aufgesetzten Türme sind aus romanischer Zeit, was die als Dreifacharkaden ausgebildeten Schallöffnungen und die Arkaden im Mittelbau zeigen. Die Türme bestehen aus Hausteinmauerwerk. Es wurden also Natursteine verwendet, welche für ihren Zweck entsprechend bearbeitet wurden.
Die Kirche betritt man durch ein gotisches Portal auf der Südseite.
Der erste Eindruck den man von der Kirche hat ist das lichte und helle. Gotische Formen bestimmen das Innere der Kirche.
Aber irgendwie wirkt die Kirche gleichzeitig modern. Vielleicht ist es die Farbgebung der Kreuzgratgewölbe oder die fast futuristisch gestalteten Säulen.
Begibt man sich nun in Richtung Chor kann man an den Pfeilern im Bereich der Vierung noch romanische verzierte Kämpfer finden.
Aus romanischer Zeit stammt gleichfalls der im südlichen Querhaus als geplante Verbindung zum Chorseitenschiff dienende Rundbogen.
Nach den Bränden wurde die Kirche im für diese Zeit modernen Stil der Gotik wieder aufgebaut. Und so bestimmen Kreuzgratgewölbe und Spitzbögen das Innere der Kirche. Erzbischof Ernst von Sachsen weihte die nach dem Stadtbrand 1207 nun fast neu entstandene und moderne Kirche am 17. Mai 1489.
Mit dem Einzug der Reformation in Magdeburg begann auch für St. Sebastian eine unruhige Zeit. So wurden 1550 bei einer Belagerung der Stadt durch Moritz von Sachsen Kanonen auf den Kirchtürmen aufgestellt. Allein dies zeigt schon, dass die Autorität der Stiftsherren bereits stark gelitten hat. 1553 entsagten dann die Stiftsherren dem katholischen Glauben, aber erst 14 Jahre später wird die letzte katholische Messe abgehalten. Die erste protestantische Predigt erfolgte dann am 1. Adventssonntag 1573. Was mich etwas stutzig gemacht hat, ist der lange Zeitraum zwischen der Entsagung und der tatsächlich ersten protestantischen Predigt. Es waren immerhin 20 Jahre. Und wenn man sich darüber klar ist, dass die Reformation ein Prozess war, der sich über mehr als 100 Jahre erstreckte, kann man sich vielleicht vorstellen, welche Kämpfe innerhalb der Kirche und auch der Bevölkerung ausgetragen wurden, bis man wusste, wohin die Reise ging.
Die Erstürmung und Verwüstung der Stadt durch Graf Tilly und seinem General Gottfried Heinrich Graf zu Pappenheim am 20. Mai 1631 ließ auch von St. Sebastian nur Ruinen übrig. Wem der Name Pappenheim bekannt vorkommt, kennt bestimmt das Sprichwort „Ich kenne meine Pappenheimer“. Dieses Sprichwort geht tatsächlich zurück auf den Grafen von Pappenheim. Im Drama „Wallensteins Tod“ lässt Schiller Wallenstein diesen Spruch sagen. Wallenstein erkennt hiermit die Treue der Truppen von Pappenheim an, indem er Gerüchten über eine Untreue hiermit eine Abfuhr erteilt. Schiller verbindet diesen Satz also mit etwas Positivem. Wogegen im Laufe der Zeit der Spruch „Ich kenne meine Pappenheimer“ eher negativ besetzt wurde.
Aber zurück zur Geschichte von St. Sebastian.
Nach der Zerstörung im 30-jähriggen Krieg bleibt die Ruine elf Jahre lang liegen. Nach Aufbauarbeiten am Chor, der eine notdürftige hölzerne Gewölbedecke erhält, finden ab 1692 wieder Gottesdienste statt. Sechs Jahre später erhalten die Türme die barocken Zwiebelhauben.
1810 wird das Stift durch die Französische Besatzungsmacht aufgelöst und die Kirche, wie viele andere Gotteshäuser als Lager, Feldschmiede und Werkstatt genutzt. Mit der Beendigung der Napoleonischen Besatzung geht St. Sebastian in Preußischen Besitz über und wird an die Stadt Magdeburg verkauft. Von nun an ist die Kirche ein Wolllager.
1845 begann die Nutzung der zu diesem Zeitpunkt bestimmt nicht mehr sehr ansehnlichen Kirche durch die Deutschkatholiken. Die Deutschkatholiken waren eine religiös-politische Bewegung, die sich gegen den Dogmatismus in den christlichen Konfessionen richtete. Sie waren ihrer Zeit etwas voraus, indem sie den Deutschen Nationalstaat anstrebten. Schon allein wegen ihrer sozialen Forderung, wie zum Beispiel ein öffentliches Schulwesen, das Recht auf Erholung und Körperpflege, Turn- und Badeanstalten sowie Armenärzte wurden die in ganz Preußen und Sachsen gegründeten Gemeinden um 1852 verboten. Ein Jahr später endete dann auch die Nutzung der Kirche durch die Deutschkatholiken.
In dieser Zeit erhält die Kirche das Westportal.
Heute ziert dieser Eingang eine Bronzetür aus dem Jahre 1987/1988 vom Bildhauer und Maler Jürgen Suberg, einen Schüler von Joseph Beuys. Ein nahezu monumentales Werk. Die Außenseite der Tür wird dominiert von der Hand Gottes, die über Szenen aus dem Alten Testament schwebt. Der vor das Portal gesetzte Engelszaun ist für meine Begriffe etwas zu viel, aber das mag jeder für sich entscheiden. Betreten kann man die Kirche durch diese Tür nur an besonderen kirchlichen Feiertagen.
Da die katholische Gemeinde der Marienkirche im Kloster Unserer Lieben Frauen zur Propstei erhoben wird, beginnt das Interesse an der nahegelegenen St. Sebastian. 1873 beginnen dann umfangreiche Renovierungsarbeiten. Die Kirche erhält ein Steingewölbe und eine neugotische Ausstattung. 1878 wechselt dann die Probstei von der Marienkirche in die Kirche St. Sebastian.
1927 bis 1928 wird die Kirche nochmals renoviert und erhält ein kräftige Ausmalung und vier neue Glocken.
Beim großen Bombenangriff am 16.01.1945 wird auch St. Sebastian in Mitleidenschaft gezogen. Im Gegensatz jedoch zu den anderen Gebäuden in der Umgebung wird sie nur relativ gering beschädigt. Und da es in Magdeburg in der Nachkriegszeit kaum eine nutzbare Kirche gab, zog auch die evangelische Gemeinde ein. Ökumene in der Not.
1949 wird St. Sebastian dann Bischofskirche des in Magdeburg residierenden Weihbischofs der Erzdiözese Paderborn. Das Kirchendach und die Zwiebeltürme werden erneuert und die Kirche innen renoviert.
Von 1970 bis 1991 werden weitere Renovierungsarbeiten durchgeführt. So erhält die Kirche eine Heizung und eine Bischofsgruft. Diese befindet sich direkt hinter dem Westportal und ist mit einer Bronzeplatte, die ebenfalls von Suberg geschaffen ist, verschlossen.
Nun kann man auch die Innenseite des Westportals betrachten.
Hier sticht der gekreuzigte Jesus hervor an dessen Armen die Schächer hängen. Schächer sind die beiden neben Jesus gekreuzigten Männer. Man sieht diese auch oft als Kreuzigungsgruppe dargestellt.
Am 07.10.1994 wurde St. Sebastian zur Bischofskirche also Kathedrale des neu gegründeten Bistums Magdeburg erhoben.
Ab 2002 wurde ein neues Sakristeigebäude angebaut, der Kreuzgang wieder errichtet und ein Kapitelfriedhof angelegt.
Ich finde, diese moderne Fassung eines Kreuzganges ist ziemlich gut gelungen.
Und so findet man zum Abschluss des Rundganges an der nördlichen dem Kreuzgang zugewandten Kirchenwand wieder romanische Spuren.