Mein erstes Lehrjahr 1982 habe ich in Magdeburg im Lehrlingswohnheim verbracht. Seitdem war ich nicht wieder in Magdeburg gewesen, aber ich habe noch Bilder vom damaligen Magdeburg im Kopf. Es war schon ein wenig aufregend wieder in die Stadt zu fahren. Um so enttäuschter war ich, als ich die Bilder in meinem Kopf in der Realität nicht wiederfand. In 35 Jahren hat sich die Stadt so stark verändert, dass ich das Gefühl hatte in einer völlig fremden Umgebung zu sein.
Wie gewaltig muss sich eine Stadt dann erst in 1.200 Jahren verändern, wenn ich nach dieser relativ kurzen Zeit schon das Gefühl habe, hier noch nie gewesen zu sein. Wenn man sich dies vor Augen führt, versteht man vielleicht, welche Magie Geschichte in sich trägt.
An den Dom kann ich mich so gut wie gar nicht erinnern. Wahrscheinlich liegt es daran, dass ich in diesem einen Jahr nicht einmal im Dom gewesen bin. Ich weiß es einfach nicht mehr. Und so betrat ich den Dom völlig frei von Erinnerungen.
Der erste Eindruck war etwas enttäuschend. Ich bin in Sachen Romanik unterwegs und was ich sah war groß, hell und irgendwie steril. Der Dom wirkt sehr aufgeräumt, fast sogar leer. Und das ist er auch, gemessen an dem, was der Dom einst an Kunstwerken beherbergte und was den Zerstörungen im Laufe seiner Geschichte zum Opfer gefallen ist. Und das ist jetzt mein Stichwort:
Die Geschichte des Domes ist eng mit der Geschichte Magdeburgs verbunden. Daher macht es Sinn beides miteinander zu verknüpfen.
Einst war der germanische Stamm der Sachsen zwischen Rhein und Elbe sowie zwischen Nordsee und Harz, also wesentlich nördlicher als das jetzige Bundesland Sachsen, beheimatet. Es war ein ziemlich zäher Kampf, den Karl der Große da führte um die Sachsen vom Christentum zu bekehren. Aber irgendwann ließ sich auch Widukind, der Sachsenkönig, taufen und damit war das Schicksal der Sachsen entschieden. Nun war die Elbe der Grenzfluss zu den heidnischen Slawen und diese Grenze musste geschützt werden. Und so entstanden, wie 500 Jahre zuvor bei den Römern am Rhein, Kastelle und Brückenköpfe. Eine dieser Befestigungen war „magadoburg“, dessen Ersterwähnung im Jahre 805 belegt ist. Die Urkunde der Ersterwähnung bezeichnet „magadoburg als Grenzhandelsort. Kaufleute lagerten und stapelten ihre Waren hier und handelten über die Furt mit den jenseits der Elbe siedelnden Slawen.
912 kam dann Otto I. zur Welt. Als Otto mit 17 Jahren Editha heiratet, schenkt er ihr als Morgengabe „magadoburg“. Die Morgengabe ist ein Geschenk des Mannes an die Frau am Morgen nach der Hochzeit. Dieses Geschenk blieb im Besitz der Frau auch wenn der Mann irgendwann im Laufe der Ehe verstarb und sicherte ihren Unterhalt. Bald schon errichtete Otto in Magdeburg eine Königspfalz. Er selbst wird 936 in Aachen zum König gekrönt. Ein Jahr darauf gründet er an der Stelle des heutigen Domes ein Benediktinerkloster zu Ehren des Hl. Mauritius. Das Kloster erhielt kurz darauf Markt-, Zoll- und Münzrechte.
946 stirbt Editha und wird in der Klosterkirche beigesetzt. Fünf Jahre später heiratet Otto die burgundische Königstochter Adelheit und sichert sich so seinen Anspruch auf Burgund.
Der Chronist Thietmar von Merseburg berichtet, dass Otto vor der Schlacht auf dem Lechfeld gegen die Ungarn ein Gelübde ablegte. Dieses besagte, dass er im Falle eines Sieges eine Abtei und eine Kirche in Magdeburg errichten und ein Bistum gründen wolle. Wie man weiß, gelang ihm auf dem Lechfeld ein furioser Sieg, welcher zum Grundstein des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation wurde und ihm später auch den Namenszusatz „der Große“ bescherte. So wurde die Klosterkirche zu einer kreuzförmigen, viertürmigen Basilika umgebaut. Magdeburg sollte zum Herrschaftszentrum des Deutschen Reiches werden und zu diesem Zeitpunkt galt der Magdeburger Dom bereits als größtes Sakralbauwerk Deutschlands. Otto hat noch viel vor.
Bei einem derartigen Ehrgeiz wundert es nicht, dass Otto dann 962 im Petersdom zu Rom zum Kaiser gekrönt wurde. Aber eines hatte er noch nicht erreicht. Magdeburg war noch kein Bistum. Erst sechs Jahre später gelang es ihm den Papst von einem Erzbistum im Norden des Reiches zu überzeugen. In der Urkunde spricht der Papst sogar vom „Konstantinopel des Nordens“.
Der erste Erzbischof war Adalbert von Trier. Im Kreuzgang des Domes befindet sich heute eine Grabplatte, welche Adalbert zugeschrieben wird. Dass er im Dom beerdigt wurde ist zumindest unstrittig.
Im Jahr 973, mit 61 Jahren stirbt Otto und wird im Magdeburger Dom an der Seite seiner ersten Frau Editha beigesetzt. Edithas Grab befindet sich im Chorumgang und auf dem Weg dorthin, wenn man den Chorumgang von der nördlichen Seite aus betritt, kommt man an der Grabplatte des Erzbischofs Friedrich von Wettin, der 1152 gestorben ist, vorbei.
Am Umhang an der rechten Hand befindet sich eine Ritzzeichnung vom damaligen ottonischen Dom, den es so heute nicht mehr gibt.
Wer sich über das kleine Kerlchen am Fuße der Grabplatte wundert, das ist der sog. Dornenauszieher. Dieser soll das überwundene Heidentum darstellen. Der Dorn stellt in diesem Fall die Erbsünde dar und der Dornenauszieher den vom Weg abgekommenen Sünder.
Im weiteren Verlauf, ungefähr an der östlichsten Spitze befindet sich der Sarkophag der Editha. Die sterblichen Überreste, die sich im Sarkophag befanden wurden untersucht und konnten tatsächlich der Editha zugeordnet werden. In einem Titansarg wurden diese dann wieder im Sarkophag beigesetzt.
Eine weitere Grabplatte in der Nähe des Ausganges vom Chorumgang auf der südlichen Seite stellt Erzbischof Wichmann von Seeburg dar.
Magdeburg wuchs in dieser Zeit zu einer ansehnlichen Stadt heran. Der Alte Markt wurde zum Zentrum der sich entwickelnden Stadt. Dort konzentrierten sich die Innungshäuser des Handwerks. Die Knochenhauer, Tischler, Schuster, Gerber und viele mehr. Gleichzeitig entwickelten sich die Kaufleute. Durch Handel und Gewerbe wurde es erforderlich ein einheitliches Recht zu entwickeln um Streitigkeiten zu schlichten. Erzbischof Wichmann ließ 1188 dann das „Magdeburger Stadtrecht“ schriftlich fixieren, dessen Grundlage das bis dahin geltende Gewohnheitsrecht der Kaufleute war. Dieses Stadtrecht wurde Vorbild für alle Stadtrechte der ostelbisch stattfindenden Besiedlungen bis in die Ukraine. Magdeburg amtierte bis zum 30-jährigen Krieg sozusagen als Oberster Gerichtshof in Sachen Stadtrecht. Um sich eine Vorstellung machen zu können, was dieses Recht beinhaltete hier einige Beispiele:
Für die Kaufleute wurden Haftungsfragen in Bezug auf die Ware, die Rechnungslegungspflicht und geordnete Buchführung und Fragen des Gesellschafterkapitals geregelt,
Im Ehe- und Erbrecht regelte man die Gütertrennung, der Mann war zwar immer noch Vormund der Frau und er verwaltete auch das Eigentum der Frau, aber Frauen durften als Rechtspersonen vor Gericht auftreten
Die Sippenhaft wurde abgeschafft und der Zeugenbeweis trat an die Stelle der Blutrache und dem Gottesurteile.
Wie ich finde, ein für diese Zeit revolutionäres Rechtsverständnis.
Aber wir befinden uns immer noch im Chorumgang und damit übrigens in der ältesten Bauphase des nachottonischen Domes, der bereits im gotischen Stil errichtet wurde.
Tritt man nun über das Südportal aus dem Dom hinaus, gelangt man in den Kreuzgang. Warum heißt der Gang eigentlich Kreuzgang? Die Bauweise beschreibt ja eigentlich kein Kreuz sondern eher ein Rechteck oder ein Quadrat. Die Bezeichnung ist also nicht im baulichen begründet. Vielmehr ist es so, dass über den Kreuzgang viele Gebäude des Klosters oder eines Stiftes zu erreichen sind. So war der Kreuzgang eine Art Flur oder Wandelgang. Bevor man also die Kirche zum Chorgebet betrat, sammelte man sich vor dem Eingang zur Kirche und betrat diese in Form einer Prozession, bei welcher man ein Kreuz vorweg trug. Daher der Name Kreuzgang.
Als erstes kommt man in den gotischen Teil des Kreuzganges mit seinem Kreuzrippengewölbe.
Im Gang auf der gegenüberliegenden Seite findet man noch einen romanischen Ursprung. Hier erkennt man gut das für die späte Romanik charakteristische Kreuzgratgewölbe.
Die Säulen in den Rundbogenarkaden zum Innenhof weisen die typischen Würfelkapitelle auf. Hier gleicht übrigens nicht eine Säule der anderen.
Leider war zum Zeitpunkt meiner Besichtigung die Putzritzung an der östlichen Wand des Kreuzganges zum Zwecke der Restaurierung nicht einsehbar. Die Restaurierung der Ritzungen, die Kaiser Otto mit seinen beiden Gemahlinnen darstellt umfasst eine Untersuchung mittels Computertomographie in Verbindung mit einer mathematischen Software, die geometrische Formen anhand von vorhandenen Linien errechnet und darstellt. Es ist schon erstaunlich, wie die moderne Technik bei der Wiederherstellung verloren geglaubter Kunstschätze behilflich sein kann.
Wenn man an den Gang mit den Putzritzungen wieder in Richtung Domzugang läuft, findet man eine Treppe nach unten. Hier wäre ich fast dran vorbei gelaufen. Ein paar Stufen hinab und man befindet sich in der Krypta, dem ältesten sichtbaren Teil des Domes.
Und wer noch mehr altes Gewölbe sehen möchte, sollte unbedingt einem menschlichen Bedürfnis nachgehen. Der Eingang zu den Toiletten befindet sich auch im Kreuzgang. Und auch hier begibt man sich in den Keller. Wer schon einmal mit dem Denkmalschutz zu tun hatte, kann sich sicherlich vorstellen, was das für Kämpfe gegeben haben muss um diese Toiletten zu bauen. Aber es hat sich echt gelohnt.
Bei einem Stadtbrand 1207 brennt der ottonische Dom an einem Karfreitag nieder. Erzbischof Albrecht II. beschließt den Bau eines völlig neuen Domes im gotischen Stil. Gefördert wird der Dombau dann durch die Erlangung der Hirnschale des Hl. Mauritius und eines Fingerknochens der Hl. Katharina. Reliquien waren in der damaligen Zeit so etwas wie heute ein Touristenmagnet. Viele Menschen pilgerten in die Stadt um die Reliquien zu sehen und versprachen sich davon ihr Seelenheil. Mit den Pilgern wurde, genauso wie heute mit den Touristen, Geld in die Stadt gespült. Und so wuchsen Magdeburg und der neue gotische Dom unaufhörlich.
Vom Chorumgang gelangt man in den Hohen Chor und dort findet man in der Nähe des Chorgestühls sich gegenüberstehend die figürlichen Darstellungen des Hl. Mauritius und der Hl. Katharina. Schon der Ottonische Dom, also der Dom vor dem Stadtbrand 1207, wurde zu Ehren des Hl. Mauritius geweiht.
Mauritius soll der römische Befehlshaber einer Legion von nordafrikanischen Christen gewesen sein. Aus diesem Grund wird er auch als Schwarzafrikaner dargestellt. Als der römische Kaiser dann den Befehl gab gegen die Christen zu ziehen, verweigerte die Legion des Mauritius den Gehorsam und alle Legionäre wurden hingerichtet. Der Legende nach gehörte die Heilige Lanze dem Mauritius. Die Heilige Lanze soll ein Stück eines Nagels vom Kreuze Jesus enthalten. Der Sieg Ottos auf dem Lechfeld soll, so erzählt man, nur gelungen sein, da Otto die Lanze im Kampf bei sich führte. Damit steht die Lanze nicht nur für die Unbesiegbarkeit des Trägers sondern auch für die Einheit des deutschen Reiches, was viele Herrscher bis hin zu Adolf Hitler für ihre Zwecke zu nutzen wussten. Heute befindet sich die Heilige Lanze in der Schatzkammer der Hofburg in Wien. Vielleicht ist es ganz gut so, bevor wieder jemand auf die Idee kommt unbesiegbar zu sein.
Auf der gegenüberliegenden Seite findet man die Hl. Katharina.
Erst mit der Erlangung des Fingerknochens als Reliquie während der Bauzeit des gotischen Domes wird sie als Mitpatronin genannt. Ihr Heiligtum verdankt Katharina Ihrer Weigerung heidnischen Göttern zu opfern. Zudem soll sie in Gegenwart des römischen Kaisers 50 Gelehrte zum Christentum bekehrt haben. Dafür sollte sie auf dem Rad hingerichtet werden, was jedoch misslang. Schließlich wurde sie enthauptet. Aus diesem Grund wird die Hl. Katharina immer mit einem zerbrochenen Rad und einem Schwert dargestellt. Leider fehlen bei der Statue diese Gegenstände, so dass hier nur vermutet werden kann, dass es sich um eben diese Heilige handelt.
Aber im Hohen Chor befinden sich noch viel mehr hochinteressante Dinge.
Da wäre als erstes natürlich der Sarg von Otto I. zu nennen.
Im Gegensatz zum Sarkophag der Editha ein sehr schmuckloser Sarg. Aber ich finde, genau diese Reduzierung und der zentrale Ort im Dom machen die Bedeutung des Kaisers deutlich. Bei einer Öffnung des Sarges hat man an den verbliebenen Knochen festgestellt, dass Otto noch im Besitz sämtlicher Zähne war als er mit 61 Jahren starb.
Als Otto I. von seiner Krönung aus Rom wiederkam, brachte er antike Säulen aus Porphyr, Granit und Marmor mit. Wer die Pfalzkapelle in Aachen kennt, weiß, dass Otto dem römisch-fränkischen Kaiser Karl den Großen hier in nichts nachstehen wollte. In der damaligen Zeit war es wichtig mit Gegenständen aus seltenen Materialien oder Dingen aus dem Besitz früherer Herrscher auch seinen Machtanspruch zu demonstrieren.
Diese Säulen, man nennt sie auch Spolien, wurden schon im Ottonischen Dom verbaut und fanden im neuen Dom auf dem Hohen Chor ihren Platz.
Der vor den Säulen platzierte Altar ist mit seinen Ausmaßen von 4,40 Metern Länge und 2 Metern Breite die größte Altarplatte Europas.
Das Chorgestühl wurde anlässlich der Weihe des gotischen Domes 1363 hergestellt.
In diesem Gestühl saßen die Mönche während der Stundengebete und Messen auf ungepolsterten Klappstühlen. Man stelle sich vor, im Winter war der Dom kalt und diese Gebete gingen über Stunden. Da kam es schon mal vor, dass der eine oder andere Mönch mal aufstand. Als dann der hölzerne Klappsitz an die Rückenlehne schlug, knallte es gewaltig im Dom. „Halt die Klappe“ muss dann wohl mal jemand geflucht haben.
Aber nicht nur diesen Bezug zur Gegenwart kann man im Dom finden. Wie bei Großbauten heutzutage mittlerweile üblich, kommt der Tag, an dem man merkt, dass das Geld nicht ausreicht. So war es auch schon im Mittelalter. Und darum rankt sich eine Sage, die an der äußeren nördlichen Domfassade über dem Eingang zur Paradieshalle sogar figürlich dargestellt wurde.
Die Hunde des Schäfer des Klosters Berge, man nannte ihn Koppehel, scharrten beim Hüten einen Goldschatz aus und der Schäfer stellte diesen Schatz dem Dom zur Verfügung. Damit konnte der stockende Bau wieder aufgenommen werden. Jetzt kann man sich selber Gedanken darüber machen, warum nun der Schäfer den schönen Schatz nicht selbst behalten hat.
Und da wir gerade an der Paradieshalle sind, machen wir auch hier gleich weiter. Geht man vom Dom aus in die Halle hinein sieht man rechts und links von der Tür, die nach außen führt zwei Figuren. Dies sind links die Synagoge, welche für das Judentum steht,
und rechts die Ecclesia, die die christliche Kirche darstellt.
Dreht man sich nun um, sieht man die klugen Jungfrauen
und die törichten Jungfrauen.
Die Legende zu diesen Jungfrauen geht auf das Neue Testament zurück. Einst gingen 10 Jungfrauen zu einer Hochzeit. Sie sollten dem Bräutigam entgegen gehen. Alle Jungfrauen führten Lampen mit sich, aber nur die klugen Jungfrauen auch noch einen Krug mit Lampenöl. Nun verzögerte sich die Ankunft des Bräutigams und es wurde dunkel. Die klugen Jungfrauen hatten noch ausreichend Öl und erreichten noch rechtzeitig den Bräutigam, der sie in Empfang nahm. Die törichten Jungfrauen aber verspäteten sich und verpassten die Hochzeit. Dies ist sicher nur eine vereinfachte Darstellung der Legende, denn eigentlich steht diese klar im Bezug zur Kirche. Aber wenn man jetzt feststellt, dass die Synagoge auf der Seite der törichten Jungfrauen steht und die Ecclesia auf der Seite der klugen Jungfrauen, dann merkt man, dass die Figurenreihung auch Ausdruck des Antisemitismus im Mittelalter ist.
Eine gerechte Bewertung findet sich dann auch schnell, nämlich auf einer Bodenfliese.
Als die Arbeiten am Querschiff weitestgehend beendet waren und das Langhaus die geplante Ausdehnung nach Westen erreicht hatte, wurde 1270 mit dem Bau der Westtürme begonnen.
Die Türme strecken sich mit 101 Meter gen Himmel, während die Fundamente 6 bis 7 Meter in die Tiefe ragen. Als der Dom 1363 geweiht wurde, standen gerade einmal drei Geschosse. Bis zum Weiterbau der Türme vergingen mehr als 100 Jahre. Nach insgesamt 311 Baujahren am Dom werden dann auch die Türme ca. 1520 fertig gestellt. Aufgrund des Standortes auf einer Sandschicht drehen und senken sich die Türme jährlich um einige Millimeter und reißen dabei gleichzeitig vom Mittelbau ab. Es gibt also immer wieder gut zu tun.
Am Mittelpfosten des Portals befindet sich die Figur Otto des Großen. Schaut man genauer hin, stellt man fest, dass die Hände, welche die Reichsinsignien halten angesetzt sind und blickt man seitlich auf das Gesicht, erkennt man sehr weibliche Züge.
Es wird angenommen, dass an dieser Stelle früher eine Marienfigur stand, welche zu Otto dem Großen umgearbeitet wurde.
Im 13. Jahrhunderts bildete die Bürgerschaft einen Rat, welcher die Geschicke der heranwachsenden Stadt lenkte, was vorher eher die Aufgabe des Erzbischofs gewesen war. Die zunehmende Macht der Bürgerschaft war allerdings dem Erzbischof Burchard III. ein Dorn im Auge. Er erließ Abgaben und setzte Bürger fest, die sich ihm widersetzten. Aus Angst vor der aufgebrachten Bürgerschaft ließ er sich einen überdachten Brückengang vom Bischofspalast bis zum oberen Chorumgang im Dom, dem sogenannten Bischofsgang, bauen. Aber all dies hat nichts genutzt. Im September 1325 wurde er von aufgebrachten Bürgern erschlagen. Als Sühne mussten die Magdeburger Bürger fünf Altäre stiften. Hiervon ist nur noch der Elisabethaltar erhalten.
Hinter der Tür an der Stirnseite des Altarblocks bewahrt man die Gegenstände für die Liturgie, also Kerzenleuchter und ähnliches auf. Von den ursprünglich 48 Nebenaltären im Dom haben sich leider nur 18 erhalten.
Schräg gegenüber dem Elisabethaltar steht die Heilig-Grab-Kapelle.
Wenn man im Langhaus in Richtung Hohen Chor schaut, ist sie schon ein kleiner Blickfang. Ursprünglich war die Kapelle Teil der bis hier verlaufenden Chorschranke, die das Domkapitel vom gemeinen Volk trennte. Blickt man in die Kapelle hinein, entdeckt man ein sitzendes Paar. Es bleibt jedem selbst überlassen, wen er da sieht. Die Gelehrten sind sich in diesem Punkt auch nicht einig. Einerseits könnte es sich um Christus mit seiner Braut die Kirche handeln und andererseits auch um Otto I. mit seiner ersten Frau Editha. Da ich die weltliche Betrachtungsweise vorziehe, ist es für mich Otto und seine Frau.
Der Lettner bildet seit 1451 die Grenze zwischen dem Hohen Chor und dem restlichen Kirchenraum.
Im 15. Jahrhundert wird die Halle unter den Türmen als Grabkapelle des Erzbischofs Ernst von Sachsen eingerichtet.
Um die Turmhalle rankt sich eine nette kleine Sage:
Der Baumeister musste die Hilfe des Teufels in Anspruch nehmen um das große Gitter fertig zu stellen. Aber der Teufel hat einen Fehler eingebaut und das Gitter brach bei der Einweihung der Turmhalle zusammen. Daraufhin entführte der Teufel die Seele des Baumeisters durch die vor der Turmhalle befindliche Teufelsluke in der Decke. Tatsächlich handelt es sich bei dem Loch um eine Bauluke, durch die Seile zu einem auf dem Dach befindlichen Kran geführt wurden.
Derartige Sagen begegnen einen immer wieder, wenn man die deutschen Dome besichtigt. Könnte dies ein Hinweis auf den Verschleiß von Baumeistern sein? Niemand ist fehlerfrei und wenn ein Fehler passiert müssen Konsequenzen gezogen werden. Aus der heutigen Zeit wissen wir, dass zumeist die Führungsspitze abtreten muss. Da frage ich mich gerade, wie viele Seelen der Teufel bereits beim Berliner Flughafen auf dem Gewissen hat und ob nicht vielleicht in 100 Jahre auch die eine oder andere nette Geschichte darüber erzählt wird.
Wenn man sich nun umdreht, steht man fast unmittelbar vor dem Taufstein aus rötlichem Porphyr, was nichts anderes ist als ein Vulkangestein.
Genau wie die Säulen im Chor soll Kaiser Otto I. den Taufstein aus Italien mitgebracht haben. Vermutlich war er früher umgedreht genutzt worden, zum Beispiel als Träger einer Brunnenschale. Fest steht, dass der Stein vor ca. 1.800 Jahren in Ägypten gebrochen wurde. Noch heute ist er als Taufstein in Gebrauch.
Anfang des 16. Jahrhunderts trat Albrecht von Brandenburg, der gleichzeitig auch Erzbischof von Mainz war, seinen Dienst an. Der Erzbischof von Mainz war einer der ranghöchsten Titel, die man auf deutschen Boden neben dem des Kaisers bekommen konnte. Er gehörte zu den Kurfürsten, die den deutschen König wählten, also war der Titel auch mit reichlich weltlicher Macht verbunden. Die Erlangung eines solchen Titels basierte selten auf einem sündenfreien und Gott gefälligem Lebenswandel, sondern vielmehr auf Bestechung. Aus diesem Grund hatte Albrecht Kredite bei den Fuggern in Augsburg aufgenommen, die es nun galt abzuzahlen. Da kam ihm der Aufruf des Papstes Leo X. zum Ablasshandel zugunsten des Baus des Petersdomes gerade recht. Die Hälfte der Erträge aus den Ablässen gingen nach Rom und die andere Hälfte nach Augsburg. Besonders hervorgetan mit dem Ablasshandel hat sich Johann Tetzel.
Und geht man nun wieder in Richtung Hohen Chor kommt man kurz vor dem Lettner an einer Truhe vorbei.
Dies soll die Tetzel-Truhe gewesen sein, in welcher das Geld aus dem Ablasshandel gehortet wurde, ganz nach dem Slogan „Sobald das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt“.
Das wiederum rief einen Mönch auf den Plan, Martin Luther. Mit seinen 95 Thesen, die er an die Schlosskirche zu Wittenberg schlug, prangerte er genau diese Geldmaschinerie der katholischen Kirche an. Im Ergebnis dessen spaltete sich die Kirche und Albrecht verlegte das Erzbistum von Magdeburg auf die Moritzburg in Halle. Der Dom wird für 20 Jahre geschlossen. 50 Jahre nach dem Thesenanschlag wird das Domkapitel evangelisch und der Dom wird wieder geöffnet. 1567 hält der Domprediger Dr. Siegfried Sack die erste protestantische Predigt. Magdeburg entwickelt sich zum Zentrum des Protestantismus.
68 Jahre später treffen die Nachwirkungen der Reformation die Stadt derart, dass ihre gesamte Existenz bedroht ist. Nahezu 30.000 Menschen leben in Magdeburg. Im 30-jährigen Krieg geht der Rat mit den protestantischen Schweden ein Bündnis ein. General Tilly und seine kaiserlichen Truppen griffen die Stadt am 20. Mai 1631 an. Vier Tage wüteten die Soldaten. Die letzten noch lebenden 4.000 Einwohner flüchteten in den Dom. Nur durch den Kniefall des Dompredigers Dr. Reinhard Bake vor General Tilly konnten diese Menschen vor dem Massaker gerettet werden. Das Wort „magdeburgisieren“ gilt seitdem als Inbegriff für die völlige Vernichtung. 1639 zählte die Stadt Magdeburg noch ganze 450 Einwohner.
Mit Ende des Dreißigjährigen Krieges wird Magdeburg im Westfälischen Frieden dem Kurfürstentum Brandenburg zugeordnet. Die Stadt wird zur stärksten preußischen Festung ausgebaut. Der Domplatz wird zum Exerzierplatz. Trotz allem kapituliert Magdeburg 1806 vor den napoleonischen Truppen. Die Preußen ziehen ab. Das Domkapitel wird aufgelöst und der Dom als Viehstall und Warenlager genutzt. Nach der Befreiung wird Magdeburg Hauptstadt der preußischen Provinz Sachsen.
Der preußische König Friedrich Wilhelm III. engagiert den Architekten Karl Friedrich Schinkel. Dieser will den Dom eigentlich abreißen, was wohl ungefähr den Zustand des Domes im 19. Jahrhundert beschreiben sollte. Aber man einigt sich letztendlich auf eine Sanierung. Der sterile, weiße Innenanstrich geht auf Schinkel zurück und widerspiegelt ein wenig Klassizismus.
Die Stadt wächst wieder kontinuierlich und erreicht 1910 eine Einwohnerzahl von 280.000.
1929 schuf Ernst Barlach das Magdeburger Mal. Es wurde rechts neben dem Eingang zur Paradieshalle aufgestellt.
Es soll eine Mahnung sein nach dem entsetzlichen Wahnsinn des 1. Weltkrieges. Aber der nächste Wahnsinn lässt nicht lange auf sich warten.
1934 wurde die Skulptur als entartete Kunst im Keller der Berliner Nationalgalerie eingelagert und später in das Atelier des mittlerweile verstorbenen Ernst Barlach nach Güstrow verbracht. Dort überstand es den 2. Weltkrieg unbeschadet, was man vom Magdeburger Dom leider nicht sagen kann.
Am 16. Januar 1945 regnen die Bomben auf die Stadt. 90 % der Innenstadt wird zerstört. Der Dom erhält sieben Treffer an den Seitenschiffen und der Westfassade. Wieder einmal muss die Stadt neu aufgebaut werden. 1955 ist die Instandsetzung des Domes beendet. 1983 beginnt eine umfassende Sanierung, die bis heute andauert. In diesem Zusammenhang werden auch archäologische Ausgrabungen vorgenommen. Die Ergebnisse dieser Grabungen sollen bald in einem neu geschaffenen Dommuseum der Öffentlichkeit vorgestellt werden.
Oft hört oder liest man, dass der Magdeburger Dom die älteste gotische Kathedrale auf deutschem Boden ist. Bei einem Besuch in der Trierer Liebfrauenkirche hörte ich, dass diese als älteste gotische Kirche Deutschlands gilt. Nun kann man sich überlegen, was der Unterschied zwischen einer Kathedrale und einer Kirche ist. Vielleicht denkt man aber auch einfach darüber nach, ob man Kirchen überhaupt mit solchen Attributen belegen muss. Jede Kirche trägt in sich etwas Besonderes, was man aber auch nur erfährt, wenn man sich einige Minuten Zeit nimmt und auch versucht sich auf den Zauber der Geschichte und die Ausstrahlung des Raumes einzulassen.
Der Magdeburger Dom braucht meines Erachtens keine Superlative. Dieses Bauwerk und seine Geschichte sind einzigartig.