Seehausen ist ein kleines Städtchen am Rande der Wische und liegt genau am Schnittpunkt der Straßen von Stendal nach Wittenberge sowie Salzwedel und Havelberg. Genau genommen ist nicht die Kirche als Bauwerk ein Standort der Straße der Romanik, sondern lediglich das romanische Westportal. Nun lässt sich aber ein Gebäudeteil nur schlecht erklären, wenn man das Gebäude ringsum außer Acht lässt. Zudem stellt St. Petri für mich persönlich eine besondere Kirche dar. Sie ist nämlich meine Taufkirche und damit Grund genug, sowohl dem gesamten Bauwerk als auch der Stadt Seehausen meine Aufmerksamkeit zu schenken.
Als Kaiser Otto I. die Osterweiterung des Deutschen Reiches über die Elbe hinaus plante, war die Sicherung des Hinterlandes eine wichtige Grundlage für seine Expansionspläne. So entstanden in der Altmark eine Vielzahl von Burgen. Im Jahr 1177 berichtete Thietmar von Merseburg von einer schon im Jahr 1009 bestehenden Burg und einer kleinen Siedlung namens „Sidageshusen“. Meistens wurden derartige Burgen an strategisch wichtigen Punkten errichtet. Hier war es wohl der Aland, der in einer Schleife verlief und somit der Burg von mehreren Seiten Schutz gewährte. Vermutet wird die Burg im Bereich der heutigen Altstadt. Aber wie muss man sich eine solche Burg vorstellen. Wahrscheinlich bestand die Burg am Ende des 10. bis Beginn des 11. Jahrhunderts nicht einmal aus Stein. Es wird wohl nur ein einfacher Holzturm gewesen sein, der dem Burgherrn und seiner Familie zum Wohnen diente. Der Burgherr selbst wird vielleicht nicht einmal adliger Abstammung gewesen sein, sondern nur ein einfacher Bauer, der sich durch heldenhafte Taten etwas an Ansehen erworben hatte und zum Dank mit dieser Burg „befördert“ wurde. Meistens mussten die Burgherren für ihren Unterhalt selbst aufkommen. Das heißt, neben dem Wohnturm bestand eine kleine Landwirtschaft. Aufgabe des Burgherrn war es, dem Dienstherren, dem er seine „Beförderung“ verdankte Folge zu leisten. In erster Linie hieß das, das Gebiet um die Burg zu sichern, aber auch Feldzüge zu begleiten und sein Leben für den Dienstherren zu riskieren. Karriere war damals schon mit erheblichen Risiken verbunden. Der Burgherr selbst hatte auch wiederum seine Gefolgsleute, die meist mit auf der Burg wohnten. Je mehr es wurden umso größer wurde die Burganlage und umso umfangreicher auch die Landwirtschaft, die der Versorgung diente. Im Laufe der Zeit führte dies zum Ausbau der Burg und zur Ansiedlung von mehreren Bauernhöfen, die zum einen der Versorgung der Burgleute diente und andererseits aber auch vom Schutz durch die Burg profitierten.
Einen nicht unerheblichen Aufschwung erhielt die Gegend als Mitte des 12. Jahrhunderts Albrecht der Bär Flamen und Holländer einwandern ließ, die sich im Deichbau und in der Trockenlegung verstanden. 1151 verlieh Albrecht der Bär der ursprünglichen Burgsiedlung bereits das Stadtrecht. Zu diesem Zeitpunkt muss bereits eine Kirche auf dem damaligen Stadtgebiet, der heutigen Altstadt, gestanden haben. St. Jacobi war wahrscheinlich eine Holz- oder Fachwerkkirche. Der genaue Standort ist heute nicht mehr nachvollziehbar.
Die Entwicklung der Stadt muss rasant fortgeschritten sein, denn ungefähr 20 Jahre nach der Erteilung des Stadtrechtes, verfügte Bischof Hugo von Verden, das Seehausen ein Archidiakonat erhalten sollte. Das Archidiakonat stellt sozusagen die Vertretung des Bischofs in einem bestimmten Gebiet dar. Der Sitz des Archidiakons muss natürlich standesgemäß in einer entsprechenden Kirche erfolgen. Nun war die Pfarrkirche St. Jacobi in der Altstadt wahrscheinlich nicht sehr repräsentativ. Also musste eine neue Kirche her. Die Stadt hatte sich bereits etwas weiter ausgedehnt und so errichtete man die neue Kirche auf einer kleinen Erhebung in der noch recht dünn besiedelten Neustadt. Über den Beginn der Bauarbeiten liegen keine schriftlichen Nachweise vor. Aber es gibt einen interessanten Ansatz meines ehemaligen Physiklehrers, Herrn Bodenstein. Anhand der Achsorientierung und einer astronomisch-kalendarischen Berechnung konnte er den Zeitpunkt des Aufrisses der Kirche auf Palmsonntag, den 21. März 1171 bestimmen. Mathematik ist nicht unbedingt mein Steckenpferd, daher erspare ich mir weitere Erläuterungen hierzu. Aber wen es interessiert, findet auf http://www.ndrom.de/ eine Fülle an mathematischen Anwendungen zur Bestimmung der Baugeschichte romanischer Kirchen in der Altmark.
Es entstand eine dreischiffige Feldsteinbasilika ohne Turm. Der sehr schemenhafte Grundriss soll eine Vorstellung vermitteln, wie die Kirche ursprünglich aussah, denn durch bauliche Veränderungen in den nachfolgenden Jahrhunderten veränderte sich die Kirche grundlegend. Ob die romanische Basilika mit zwei niedrigeren Seitenschiffen eine halbrunde Apsis oder wie in der Zeichnung einen geraden Abschluss hatte, weiß man heute nicht mehr.
Für mich stellt sich immer die Frage, wer die Bauleute waren, die die Kirchen errichteten. Meistens waren es hochqualifizierte Steinhauer, die von Baustelle zu Baustelle zogen. Nun wurde im Jahr 1170 der Havelberger Dom fertiggestellt und geweiht. So liegt die Vermutung nahe, dass die Steinhauer von dieser Baustelle nach Seehausen zogen um hier den Feldstein in die richtige Form zu bringen.
Über die erste Weihe der Kirche ist nichts weiter bekannt, außer dass sie den Aposteln Paulus und Petrus geweiht wurde. 50 Jahre nach Baubeginn entschloss man sich jedoch, an die Kirche noch einen Turm anzubauen. Hier kam dann schon Backstein auf einem Feldsteinsockel zum Einsatz.
Das äußere Erscheinungsbild des Turmes war damals jedoch ein völlig anderes. Wenn man genau hinschaut, erkennt man direkt über den zugemauerten mittig liegenden Spitzbogenfenstern eine waagerechte Linie. Dies war sozusagen die Traufhöhe des romanischen Turmes. Die zugemauerten Spitzbogenfenster waren die Klangarkaden hinter denen die Glocken hingen und der Turm trug wahrscheinlich ein Walmdach.
Im Grundriss habe ich versucht darzustellen, dass die Westwand der Basilika vor dem Turmanbau abgerissen wurde. Nun hat man den Turm aus Backstein an die Feldsteinbasilika gebaut und so erhielt die Kirche eine westliche Backsteinmauer. Warum das so wichtig ist, erfährt man, wenn man in die Kirche hinein geht.
Auf der Orgelempore steht man vor der Ostwand des Turmes. Wenn man ganz genau hinschaut, erkennt man eine schräge Linie von rechts unten nach links oben. Dies sind noch Mörtelreste des Daches der romanischen Basilika, welches dort an den Turm anschloss. Somit hat man die genauen Maße des ursprünglichen Baues vor dem gotischen Umbau im 15. Jahrhundert.
Und wenn man nun schon einmal auf der Empore ist, kann man den etwas erhöhten Blick in den Kirchenraum genießen. Man sagt ja, dass man lange nicht gesehene Räume und Gebäude, die man als Kind gewaltig groß empfand, als Erwachsener eher klein findet. Bei mir war es genau anders herum. Ich weiß nicht mehr, wann ich das letzte Mal in meiner Taufkirche war, aber sicher ist, dass dies in den letzten 40 Jahren nicht der Fall war. Als ich die Kirche nun das erste Mal wieder betrat, empfand ich den Raum gigantisch groß. In meiner Erinnerung war es ein kleiner schmaler Raum. Und wenn ich ehrlich bin, war es für mich eine völlig neue Kirche.
Mit dem Bau des Turmes entstand gleichzeitig das mehrfach gestufte romanische Portal. Dieses Portal ist Teil der „Straße der Romanik“. Was macht es zu etwas derart Besonderen? Hier muss man etwas ins Detail gehen. Zunächst fällt der Wechsel der Farben innerhalb des Gewändes auf. Dieser entsteht durch die wechselnde Verwendung von Sandstein und Backstein.
Die Kapitelle weisen eine starke Ähnlichkeit mit den Kapitellen des Magdeburger Domes auf. Eine Beteiligung der Dombauhütte oder einiger dort arbeitenden Steinmetze am Bau dieses Portals kann allerdings nur vermutet werden.
Im Portalbogen setzt sich das künstlerische Gespür der Baumeisters fort. Von innen nach außen gesehen gibt es eine Abfolge von kleinen aneinandergereihten Pyramiden, einer Hohlkehle, X-Zeichen, Kugeln und den Abschluss bildet eine Wulst. Jede der Zierbögen aus Backstein werden durch je eine Wulst, man nennt diese auch Archivolte, aus hellem Sandstein voneinander getrennt. Ob eine geheime Botschaft dahintersteckt? Oder waren die gestalterischen Elemente gerade hip? Wer weiß das schon. Den Versuch einer Deutung hat Herr Bodenstein unternommen und seine Ansätze sind auf der oben erwähnten Website zu finden.
Auch der Portalgiebel ist voll von romanischen Schmuckelementen. Ein Kreuzbogenfries der auf Konsolen steht. Hier tauchen auch die Kugeln wieder auf. Darüber rundbogige Arkaden. Das Ganze wird gerahmt durch ein deutsches Band.
Gebaut wurde das Portal als Eingang zur Kirche. Es war natürlich freistehend. Die gotische Halle, die es jetzt umgibt, gab es damals noch nicht. Und nun ist wieder etwas Fantasie gefragt. Ursprünglich ragte das Portal aus der Turmfront heraus. Wer das Portal der Arendseer Klosterkirche kennt, kann sich ungefähr eine Vorstellung machen, wie es aussah.
Warum die Seehäuser Kirche nun ein solches prachtvolles Portal erhielt, wird wohl nicht mehr zu klären sein. Vielleicht sollte es das Meisterstück eines Steinmetzes werden, vielleicht war auch einfach nur genügend Geld da. Was auch immer der Grund war, es macht den Eindruck, als hätten die Baumeister gewusst, dass sie das Portal für eine halbe Ewigkeit bauen.
Die Stadt Seehausen entwickelte sich mit den Jahren weiter und dehnte sich aus. Es entstand die Neustadt. Für eine kurze Zeit waren die Altstadt und die Neustadt zwei nebeneinander liegende Städte mit jeweils eigener Gerichtsbarkeit. Ähnliches gab es auch in Salzwedel, nur dass diese Situation dort erst im 18. Jahrhundert durch die Zusammenlegung der Städte endete. In Seehausen verfiel die Burg und die Altstadt mitsamt der Kirche zusehends. Mitte des 13. Jahrhundert verschenkte dann Markgraf Otto III. die verfallene Burg den Dominikanermönchen. Die Dominikaner sind ein Bettelorden, der im 13. Jahrhundert gegründet und schnell populär wurde. Die Mönche waren der absoluten Armut verpflichtet. Sie lebten ausschließlich von Spenden. Dass der Markgraf die Burg verschenkte, zeigt schon, dass diese eigentlich nur noch eine Last war und sowohl militärisch als auch ökonomisch keine Rolle mehr spielte. Die Altstadt selbst wurde dann um das Jahr 1260 endgültig aufgegeben. Warum ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt? Meine Recherchen ergaben anfangs, dass der Aland des Öfteren Hochwasser führte und damit die Wohnhäuser, die sich um die Burg an der Alandschleife reihten, bedrohte. Dies mag im Laufe der Zeit wohl auch der Grund gewesen sein, warum man etwas weiter nördlich, nämlich im Bereich des heutigen Schwibbogen und der Steinstraße neue Häuser baute. Aber ich bin noch auf eine andere Erklärung gestoßen. Im Jahr 1257 gab es in Indonesien einen heftigen Ausbruch des Vulkans Samala, welcher zu einer weltweiten Klimakatastrophe führte. Besonders Nordeuropa war hiervon betroffen. Durch einen Dunstschleier in der Stratosphäre wurde die Sonneneinstrahlung über mehrere Jahre so stark reduziert, dass es zu einer globalen Abkühlung kam in deren Folge Missernten und Hungersnöte das Leben der Menschen maßgeblich verschlechterte. Was tut man in Zeiten der Not? Man rückt zusammen. Dies mag vielleicht auch ein Grund gewesen sein, warum der Aland viel Hochwasser führte, in dessen Folge, die Altstadt vollständig aufgegeben wurde und zukünftig nur noch als Baumaterialquelle genutzt wurde.
Mit dem Verfallen der Altstadt zogen auch die Mönche in die Neustadt. Die Klosterkirche St. Cyriax wurde an der Stelle des ehemaligen Postgebäudes am Klosterschulplatz gebaut und 1266 geweiht.
Um 1300 muss das Schutzbedürfnis der Stadt recht hoch gewesen sein. Eine sich entwickelnde Stadt weckt natürlich auch Begehrlichkeiten. So begann der Bau der Stadtmauer. Gleichzeitig schlossen die Städte Salzwedel, Werben, Gardelegen, Stendal, Tangermünde und Osterburg ein Verteidigungsbündnis. Die Städte waren verpflichtet einen Heerbann zu bilden, das heißt eine bestimmte Anzahl von Bürgern müssen ständig abrufbereit gewesen sein für die Verteidigung der Städte und auch zur Begleitung von Kaufmannszügen, denn um Arendsee herum trieben Raubritter ihr Unwesen.
In dieser Zeit spielt auch die Sage von den Seehäusern und Osterburgern und einem Ochsen, den die Seehäuser vor das Stadttor der Osterburger trieben. Die Osterburger hielten den Ochsen für einen Bären und schickten „vielleicht den Heerbann“ mit Spießen und Stangen vor die Stadt um den Bären zu erlegen. Am nächsten Morgen wurde der Irrtum entdeckt und das Gelächter bei den Seehäusern war groß.
Mitte des 14. Jahrhunderts brach die erste Pestepidemie in der Stadt aus. Es sollten noch viele weitere folgen.
1358 trat Seehausen und die Nachbarstädte Stendal, Werben und Gardelegen der Hanse bei. Darüber hinaus erhielt Seehausen auch das Recht eigene Münzen zu prägen. Der wirtschaftliche Aufschwung der Stadt begann. Die Stadt kauft die Fähre Rehfelde und die Kahnfähre in Kamps.
Mitte des 15. Jahrhunderts beginnt der Umbau der romanischen Basilika zu einer gotischen Hallenkirche. Der Umbau war so umfassend, dass romanische Bauteile kaum noch vorhanden sind.
Die weiteren Umbauten erklären sich besser am Grundriss. Eigentlich wurde die gesamte Kirche gotisch überbaut. Die romanische Basilika wurde abgerissen bis auf die Stirnseiten des Querhauses und den Triumphbogen. Selbst die Pfeiler wurden entfernt und durch die heute noch vorhandenen Säulen ersetzt, die das gotische Gewölbe tragen. Während der romanische Bau aus Feldsteinen bestand, wurden diese nun als Sockel für die neu zu errichtenden Backsteinaußenwände verwendet.
An der Westseite des Turmes wird die dreischiffige gotische Vorhalle angebaut. Letztendlich ist es diesem Vorbau zu verdanken, dass das romanische Portal, welches sich nun in der Vorhalle befindet, derart gut erhalten geblieben ist.
1481/82 werden die Umbauarbeiten mit der Erhöhung des Turmes um die heute noch vorhandene markante Doppelspitze abgeschlossen. Die Jahresangabe gilt als gesichert, denn nach einem Brand im 17. Jahrhundert wird im Brandschutt eine Turmknaufurkunde gefunden, die genau diese Jahreszahl preisgibt.
Auf der Suche nach romanischen Resten begibt man sich am besten zum Südportal. Betrachtet man nun das Feldsteinmauerwerk direkt neben dem Portal und vergleicht es mit dem Sockelmauerwerk der Kirche, fällt auch dem baufachlich nicht so versierten Betrachter sofort auf, dass das Sockelmauerwerk eher nachlässig erstellt wurde. Demgegenüber ist das Feldsteinmauerwerk direkt neben dem Portal akkurat verarbeitet. Dieses Mauerwerk ist noch ein Rest der Stirnseite des romanischen Querhauses. Hier haben die Steinhauer tatsächlich ganze Arbeit geleistet. Diese exakt behauenen und aufgeschichteten Feldsteine müssen als gesamtes Bauwerk eine Pracht gewesen sein. Das gleiche Bild findet man auf der Nordseite der Kirche, denn auch hier blieb das romanische Mauerwerk der Querhausstirnseite bestehen.
Geht man vom Südportal nun ein Stück in Richtung Turm, fällt zwischen zwei Streben das Backsteinmauerwerk auf, welches den Feldsteinsockel unterbricht. Hier wurde während der gotischen Umbauten der Bauschutt aus der Kirche transportiert. Und es muss eine Menge davon gegeben haben. Üblicherweise hat man sich auch die Entsorgung eines Teiles des Bauschutts erspart, indem man diesen gleichmäßig um die Kirche herum verteilte. Dies gilt nicht nur für den gotischen Umbau, sondern auch für alle nachfolgenden baulichen Veränderungen. Im Ergebnis dessen wuchs das Oberflächenniveau um die Kirche herum immer mehr an. Und so kam es, dass man nun einige Stufen hinuntergehen muss um in die Kirche zu gelangen.
Ein erhaltenes Relikt des romanischen Baus ist der Chorbogen. Er stellt eines der wichtigsten statischen Bauteile einer Kirche dar und trennt den Chorbereich vom Kirchenraum.
Mit dem Ende der Modernisierung der Kirche wurde auch die Innenausstattung aufgepeppt. In der neuen Apsis wurde ein Altar aufgestellt. Anstelle des jetzt vorhandenen Bildes mit dem Abendmahl standen dort sieben Heiligenstatuetten. Vermutlich ist der Altar eine niederländische Arbeit. Die hölzerne Einfassung stammt jedoch aus dem Jahr 1868 und ist somit neugotisch. Neben dem Hauptaltar gab es noch weitere 15 Nebenaltäre, die von zumeist begüterten Seehäusern gestiftet waren. Es wird angenommen, dass zu dieser Zeit auch bereits eine Orgel in der Kirche vorhanden war.
Um die Jahrhundertwende zum 16. Jahrhundert hatte die Stadt ungefähr 400 Einwohner und bestand aus Fachwerkhäusern mit Strohdächern. Die Stadt wurde eingerahmt von der Stadtmauer und den Stadttoren. Das Beustertor ist das einzige Tor, welches davon noch erhalten blieb.
Mit dem 16. Jahrhundert brach eine neue Ära für St. Petri an. Sie wurde protestantisch. Am 07. Oktober 1539 hielt der erste evangelische Pfarrer in Seehausen, Johannes Hemstädt, die erste protestantische Predigt. Die Reformation durchzog die Stadt auch in anderen Bereichen. Die letzten drei verbliebenen Dominikanermönche verkauften das baufällige Kloster an die Stadt und sicherten sich damit den Unterhalt für ihr weiteres Leben. Die Klostergebäude verfielen und wurden nach und nach abgerissen.
Am 10. Februar 1563 tobt während einer Predigt ein Orkan und bringt die Südspitze des Kirchturmes zum Einsturz. Die Spitze fällt auf das Kirchendach und wie durch ein Wunder, wird niemand verletzt. Erst 17 Jahre später erhält der Südturm eine welsche Haube und damit ungefähr das jetzige Aussehen. Dem Nordturm blieb seine lange Spitze noch weitere 100 Jahre erhalten.
Innerhalb der Kirche an der Nordwand findet man diese Grabplatte. Sie zeigt Johann Kraatz mit seiner Frau. Johann Kraatz war Bürgermeister in der Zeit der Jahrhundertwende vom 16. zum 17. Jahrhundert. Es war keine schöne Zeit. Immer wieder wüteten Pestepidemien. 1583 kostete die Pest von Pfingsten bis Weihnachten 1000 Menschen das Leben. Medikamente gab es nicht und man war dem schwarzen Tod hilflos ausgeliefert. Die einen sahen es als die Rache Gottes für begangene Sünden, die anderen suchten einen Schuldigen. Und der war bald gefunden. Frauen, deren Leben den Menschen in irgendeiner Weise suspekt war, waren die Opfer. Es begann die Hexenverfolgung. In Seehausen nahm der Hexenwahn wahre Ausmaße an. 1594 beklagte sich der Rat der Stadt beim Kurfürsten wegen der hohen Kosten der Hexenprozesse. Ilse Bolten, Heyel Tilrbirn, Margareta Möller, Anne Wernicke geb. Henning, Barbara Ewinckels aber auch ein Mann namens Hans Straußschen wurden der Hexerei angeklagt und verbrannt. Anna Voß wurde vorgeworfen, dass sie Christoph Quadfasel, den Sohn eines angesehenen Ratsmitglieds, betört und verführt hätte. Das Urteil lautete auch hier auf Hexerei und das Urteil war die öffentliche Verbrennung. Diese Frauen und auch der Mann stehen für viele weitere hier nicht genannte, die in Seehausen den qualvollen Tod auf dem Scheiterhaufen starben.
Bis 1626 blieb Seehausen von den Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges weitestgehend verschont. Als aber der katholische Kaiser fast das gesamte Deutsche Reich eingenommen hatte, mussten auch die letzten protestantischen Hochburgen fallen. Allen voran Magdeburg. Und so zogen mal die katholisch-kaiserlichen Truppen und mal die protestantisch-schwedischen Truppen durch die Stadt. Anfangs mussten die Truppen „nur“ von der Stadtbevölkerung verpflegt werden. Als jedoch die Nahrungsmittel knapp wurden, gingen die marodierenden Söldnertruppen zu Plünderungen über. Am besten lassen sich die Auswirkungen der Kriegsjahre in Zahlen erklären. Während 1626 im Kirchenbuch noch 15 Trauungen vermerkt waren, so waren es 1631 noch ganze drei Trauungen. Im Jahr 1631, dem Jahr in welchem Magdeburg dem Erdboden gleich gemacht wurde, erlebte Seehausen im Juli/August die schrecklichsten drei Wochen in seiner Stadtgeschichte. Die Stadt gerät zwischen die Fronten der beiden rivalisierenden Armeen und wird drei Wochen lang geplündert. Die Kirche verliert fast ihre gesamte Ausstattung, etliche Häuser der Mühlenstraße und der Grabenstraße brennen nieder und große Teile des Stadtarchivs gehen verloren. Nach dem dreißigjährigen Krieg zählte man in Seehausen nur noch 124 Einwohner.
Vielleicht war es Dankbarkeit oder Erleichterung, vielleicht wollte man auch einfach nur zeigen, dass es sich lohnt die Stadt wiederaufzubauen. Drei Jahre nach Ende des Krieges stifteten Seehäuser Bürger 13 Wappenscheiben für das Ostfenster im nördlichen Nebenchor.
Durch den westfälischen Frieden wird Europa neu aufgeteilt. Die Altmark gehört nun zu Brandenburg und später dann zu Preußen. Und wie es sich für eine ordentliche preußische Stadt gehört, wird eine Garnison stationiert. Ab 1655 ist Seehausen eine Garnisonsstadt. Seehausen hat in dieser Zeit um die 1.200 Einwohner.
In der Stadt kommt es immer wieder zu Bränden. Hier eine kleine Auswahl:
1653 Beusterstraße bis zur Mühlenstraße mit 38 Häusern
1669 Viehstraße (heute Schulstraße) bis Mühlenstraße mit 15 Häusern
1676 Vor dem Mühlentor über die Mühlenstraße bis zur Viehstraße und Kleinen Brüderstraße mit 58 Häusern
Am 30. August 1676 schlägt ein Blitz in den Kirchturm und setzt den Turm und die Umgebung der Kirche in Brand. Das Bürgermeisterhaus, die Schule und Häuser in der Steinstraße werden ein Opfer der Flammen. Mit der Wiedererrichtung erhält der Turm zwei neue Spitzen, die wir heute noch sehen.
Man möge sich vorstellen, welchen Aufwand es bedeutete ganze Straßenzüge wiederaufzubauen. Es musste also irgendetwas passieren, dass sich Brände nicht derart schnell ausbreiten konnten. Eine rechtzeitige Warnung war sicherlich hilfreich und so richtete man im Jahr 1688 eine Turmwächterstelle ein. Direkt unter der Turmuhr liegt die Wohnung, die der Turmwächter mit seiner Familie bewohnte. Die Bezahlung aus der Stadtkasse reichte jedoch nicht für den Lebensunterhalt. Und so musste jeder Bürger der Stadt diesen Dienst mitfinanzieren. Am Silvestertag jeden Jahres zog der Turmwächter von Haus zu Haus und kassierte ein bis zwei Groschen von jedem Bürger. Bis 1962 war die Turmwächterstelle besetzt und die Türmerwohnung bewohnt.
Zu Beginn des 18. Jahrhunderts, es ist die Zeit des Barock, erfährt der Innenraum der Kirche einige Erneuerungsarbeiten. Im nördlichen Seitenschiff wird eine Empore eingebaut, da die Plätze im Kirchenschiff schon längst nicht mehr ausreichen. Allerdings bleibt die Empore den Stadtoberen und den Mitgliedern der Garnisonen vorbehalten.
Die aus dem 17. Jahrhundert stammende Kanzel wird abgebaut und durch eine reich ausgestattete und vergoldete Kanzel ersetzt. Diese Kanzel befindet sich heute noch immer in der Kirche.
1739 erhält die Kirche einen neuen Innenanstrich. Dabei werden die letzten gotischen Bemalungen überstrichen.
Die Stadt selbst hat sich von den Strapazen des dreißigjährigen Krieges gut erholt. Es wohnen wieder 1.500 Menschen hier. Darunter auch der in Stendal geborene Johann Joachim Winckelmann. Winckelmann gilt als Begründer der modernen Archäologie und Kunstgeschichte und als Wegbereiter für den Klassizismus. In Seehausen war er vier Jahre als Konrektor an der Lateinschule tätig. Er selbst beschreibt seine Zeit in Seehausen als sehr beschwerlich.
Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts tat sich nicht viel an und in der Kirche. In der Zwischenzeit wechselte das preußische Seehausen in der napoleonischen Zeit ins Königreich Westfalen und danach wieder zurück zu Preußen. Die Stadt entwickelte sich kontinuierlich weiter. Mitte des 19. Jahrhunderts lebten 3.000 Menschen in der Stadt. Das Gebiet innerhalb der Stadtmauern reichte schon längst nicht mehr aus. Man begann das Stadtgebiet außerhalb der mittelalterlichen Grenzen auszudehnen. Auch die ehemalige Altstadt wird wieder interessant. Erst entstehen hier Kleingärten und dann einfache einstöckige Arbeiterhäuser. An anderen Stellen, wie an der Straße nach Osterburg werden villenähnliche Gebäude gebaut. Der Seehäuser Verschönerungsverein sorgte für das Wohnfühlambiente. Es entstand der Schillerhain, die Lindenpflanzungen in der heutigen Lindenstraße und in der Schulstraße am Jungfernstieg. Am Markt entstand ein Gerichtsgebäude und anliegend gleich das Gefängnis, wo später dann die Sparkasse einzog. Mit dem Bau der Bahnstrecke, die zunächst nur bis Geestgottberg reichte und später durch den Bau einer hölzernen Eisenbahnbrücke über die Elbe bis Wittenberge führte, zog nun endgültig das technische Zeitalter in Seehausen ein.
Die Stadt verändert sich rasant. Da kann die Kirche nicht außen vor bleiben. Die West- und die Nordempore wird abgerissen. Die Südempore über der Sakristei erhält ein neugotisches Geländer und die neu gebaute Westempore wird mit einer neuen Lütkemüller-Orgel gekrönt. Während der Sanierungsarbeiten wird der Gottesdienst in der Aula des zwei Jahre zuvor gebauten Gymnasiums abgehalten.
Im Zuge der Sanierungsarbeiten wird der barocke Taufstein entfernt und durch das neugotische Bronzetaufbecken ersetzt.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts erhält die Kirche eine Niederdruckdampfheizung.
Kurz vor dem Jahrhundertwechsel gibt es auch in der Stadt bahnbrechende Neuerungen. Das Krankenhaus am Schillerhain wird eröffnet, das heutige Rathaus wird gebaut, die Molkerei-Genossenschaft nimmt ihren Betrieb auf und die Freiwillige Feuerwehr wird gegründet. Das noch zum ehemaligen Kloster gehörende Beguinenhaus wird abgerissen und an deren Stelle wird das Posthaus errichtet. Noch vor der Jahrhundertwende zieht hier die Post ein. Durch die aufkommende Motorisierung war es auch erforderlich, den Straßen- vom Fußgängerverkehr zu trennen. Erst kurz vor der Jahrhundertwende wurden Fußgängerwege, die mittels Bordsteinen von der Straße getrennt wurden, angelegt. 1925 legen dann die Stadtverordneten fest, dass die Höchstgeschwindigkeit innerhalb der Stadt maximal 15 km/h zu betragen hat.
Im Jahr 1906 wurde drei Glocken umgegossen. Hierzu mussten die Glocken selbstverständlich abgelassen werden, wovon hier ein zeitgenössisches Foto zeugt. Dieses Foto habe ich dankenswerter Weise von Wolfgang Schubert erhalten, welcher sich aufgrund dieses Beitrags bei mir meldete. Das Bild stammt aus einem Album seiner Familie, die ursprünglich aus Seehausen und Umgebung stammt.
Die Mitte des 19. Jahrhunderts installierte erste Straßenbeleuchtung mit Gas wird auf Gleichstrom umgestellt. Hierzu wird in der Salzkirche ein Elektrowerk eingerichtet. Auf dem vorherigen Foto mit der Glocke kann man übrigens im Vordergrund sehr gut die ehemaligen Gleichstrommasten erkennen, die sehr markant das Stadtbild prägten.
Das heute noch bestehende Bahnhofsgebäude wird gebaut, die Konservenfabrik nimmt den Betrieb auf und es beginnt der Spargelanbau.
Im Februar 1909 ereilt die Stadt eine der größten Katastrophen nach dem Dreißigjährigen Krieg. Durch einen Deichbruch bei Berge und Kannenberg dringt das Wasser bis in die Stadt vor. Lediglich die Kirche, das Rathaus, der Marktplatz, die Kleine und Große Brüderstraße, die Mühlen- und die Schulstraße sind noch begehbar.
Rücksichtsloses Machtstreben lässt 1914 den Ersten Weltkrieg ausbrechen. Am 22. Juli 1917 läuten die Glocken von St. Petri das letzte Mal. Die beiden größten Glocken und 163 Pfeifen der Orgel werden eingeschmolzen und zu Kriegsmaterial verarbeitet. 135 Männer kehren aus diesem Krieg nicht nach Hause zurück. Ihnen wird 1924 in der Marienkapelle ein Denkmal gesetzt.
Drei Jahre später erhält die Kirche zwei neue Stahlglocken.
Der darauffolgende Zweite Weltkrieg fordert die drittgrößte noch verbliebene Bronzeglocke. Am 12. April 1945 ergibt sich die Stadt den amerikanischen Truppen. Zu diesem Zeitpunkt ist Wittenberge noch in deutscher Hand. Ein Deserteur, der über die Elbe in die befreite Stadt Seehausen kam, berichtete, dass die deutschen Truppen in Wittenberge beabsichtigen Seehausen am 13. April 1945 zu beschießen und dem Erdboden gleich zu machen. Daraufhin begibt sich Dr. Albert Steinert als Unterhändler zu Fuß nach Wittenberge. Ihm schließt sich unterwegs der Bürgermeister von Wahrenberg an. An der Elbe werden beide Männer von deutschen Soldaten verhaftet. Sie werden noch am gleichen Tag zum Tode verurteilt und standrechtlich erschossen. Zum Beschuss von Seehausen kam es glücklicherweise nicht mehr. Dr. Steinert wurde auf dem Friedhof in Seehausen beigesetzt. Im Andenken an diesen mutigen Arzt tragen das Krankenhaus, die Grundschule und ein Platz seinen Namen.
Nach einer kurzen Besetzung durch die Amerikaner folgten am 01. Juni 1945 die Briten. Aber schon am 30. Juni zogen diese wieder ab und machten der russischen Besatzungsmacht mit 3.000 Soldaten Platz. Gleichzeitig befanden sich ungefähr 2.000 Umsiedler in der Stadt. Insgesamt kam Seehausen so auf 6.991 Einwohner.
Ebenfalls in der Marienkapelle gegenüber dem Kriegerdenkmal zum 1. Weltkrieg wurde den 159 im 2. Weltkrieg Gefallenen und 84 Vermissten aus Seehausen ein Denkmal gesetzt.
Im Jahr 1955 wird die Empore im nördlichen Seitenschiff abgerissen. Reste der Stützen der Empore sind am Fußboden der Kirche noch erkennbar. Zu gleichen Zeit erhält der Innenraum einen neuen Anstrich.
Drei Jahre später verlässt die letzte Türmerfamilie Lausch die Türmerwohnung.
1972 tobt ein Sturm über Seehausen. Ich kann mich noch sehr gut erinnern, wie ich von einem älteren Mitschüler von der Schule nach Hause gebracht wurde und wir ganz dicht an den Häuserfassaden entlang gegangen sind, da um uns herum die Ziegel von den Dächern fielen. Auch die beiden Kirchtürme haben bei diesem Sturm große Schäden davongetragen. Im darauffolgenden Jahr begann die Sanierung der Türme und des Kirchendaches.
Ein wichtiges Kleinod in der Kirche sind die von Frau Corinna Streitz restaurierten Tafelbilder, die sich ursprünglich an den Emporen befanden. Der Ursprung der Bilder ist nicht bekannt, denn für diese Kirche wurden sie wohl nicht gefertigt.
Die Arbeiten an einem so alten Gebäude enden irgendwie nie. Wenn man die Kirche heute betrachtet, sieht man, dass eine großes Stück Arbeit zu bewältigen ist, um das zu bewahren, was die Stadt eigentlich ausmacht. Ihre Geschichte und das Andenken an die Menschen, die die Stadt mit ihrer Kirche über die vielen Jahrhunderte hinweg geprägt haben.
Vor fast 40 Jahren habe ich meiner Heimatstadt den Rücken gekehrt. An das Innere der Kirche konnte ich mich gar nicht mehr erinnern und die Geschichte der Stadt war für mich „ein Brief mit sieben Siegeln“. Die Geschichte meiner Familie ist seit fast 90 Jahren eng mit den Geschicken der Stadt verbunden. Durch das Schreiben dieses Berichtes kamen viele Erinnerungen an meine Kindheit wieder zutage.
Niemand weiß, was die Zukunft bringt. Aber wir wissen, was uns die Vergangenheit lehrt. Und deshalb ist das Verstehen und Bewahren der Geschichte die beste Option die Zukunft zu meistern. Möge St. Petri noch für viele Generationen das sein, was sie immer war, weithin sichtbar und der Mittelpunkt einer lebendigen, von glücklichen Menschen getragenen Stadt.