Ungefähr fünf Kilometer südlich von Havelberg liegt Sandau. Ein kleines Städtchen direkt an der Elbe, was eher wie ein Dorf anmutet. Wie schon der Name vermuten lässt, war Sandau eine slawische Ansiedlung, die nach dem Slawenaufstand 983 entstanden ist. Der erste schriftliche Nachweis stammt aus dem Jahr 1190. Graf Heinrich von Gardelegen erhält bei einem Tausch mit dem Kloster Unserer Lieben Frauen in Magdeburg 5 Hufen Land in „Villa Sandowe“.

Erbaut worden sein soll die Kirche von holländischen Kolonisten um das Jahr 1200 herum. Die Holländer wurden von Albrecht den Bären in die Altmark und die an die Elbe grenzenden Gebiete geholt, da sie sich im Deichbau verstanden und ihre Kenntnisse hier bei der Trockenlegung dringend gebraucht wurden. Die Besiedlung der Gegend hatte gerade erst begonnen. Es war die Zeit in der das Christentum östlich der Elbe Einzug hielt und die Kirchen waren die Bollwerke der christlichen Religion. Und so wurden an strategisch wichtigen Orten Burgen errichtet, die meist eine Ansiedlung nach sich zogen und in denen dann Kirchen gebaut wurden. Zuerst waren es Holzkirchen, die meist über den Kultstätten der Slawen gebaut wurden. Die Sandauer Kirche befindet sich auf einer kleinen Anhöhe, was die Vermutung zulässt, dass sich auch hier eine solche Kultstätte befunden haben könnte. Das Patrozinium teilen sich der Heilige Nicolaus und der Heilige Laurentius. Dies ist darauf zurück zu führen, dass der Heilige Laurentius der eigentliche Patron der Kirche ist und der Heilige Nicolaus eine Bedingung der Holländer war, welche die Kirche erbaut haben. Um die Jahrhundertwende zum 13. Jahrhundert war die Romanik der vorherrschende Baustil. Und ein Rundgang um die Kirche zeigt, wie einfallsreich und künstlerisch ambitioniert die Bauherren zu dieser Zeit waren. Der Grundaufbau der Kirche ist klassisch romanisch. Ein Westturm, das Langhaus, der Chor und die Apsis.

Beginnend an der Südseite des Turmes sieht man hier die ursprüngliche Gestalt des Mauerwerkes. Eine etwas zerfurchte Fassade zeugt von der wechselvollen Geschichte der Kirche. Die regelmäßig viereckigen Löcher, die sich bis nach oben unter die Traufe ziehen, sind Gerüstlöcher, die noch heute zeigen, wo das Gerüst bei der Errichtung des Turmes befestigt war. Die runden Löcher sind dagegen stumme Zeugen der letzten Tage des Zweiten Weltkrieges. Die Rundbogenfester mit eingeschlossenen Arkaden könnten ein Hinweis darauf sein, dass der Turm keine wehrhaften Aufgaben hatte. Unter den Fenstern des Glockengeschosses sieht man einen Rundbogenfries mit darüberliegendem Deutschen Band. Und über den Fenstern des Glockengeschosses befindet sich ein Kreuzbogenfries. Und so versammelt auch nur eine Seite des Turmes gleich mehrere gestalterische Merkmale der Romanik.

Was aussieht, wie ein dunkler Schatten ist das alte und ursprüngliche Mauerwerk. Der größere Teil ist neues Mauerwerk. Um dies zu erklären muss man in die jüngere Vergangenheit zurück. Es war im April 1945. Die Amerikaner standen auf der westlichen Elbseite gegenüber von Sandau. Sie entsandten einen mit einer weißen Fahne ausgestatteten Offizier zum Stadtkommandanten um über die Kapitulation der Stadt zu verhandeln. Der Stadtkommandant sah die ausweglose Situation und war zu Verhandlungen bereit. Aber er hat die Rechnung ohne die SS gemacht. Diese befahl die weiße Beflaggung der Stadt einzuholen und erschoss kurzerhand den amerikanischen Gesandten. Am 13.04.1945 begann ein zehntägiger Beschuss der Stadt durch die Amerikaner.

Diese Postkarte zeigt die Marktstraße mit Blick auf die Kirche zum Ende des 19. oder Anfang des 20. Jahrhunderts. Ein paar Jahrzehnte und zwei Weltkriege später sah der gleiche Blick dann so aus…

Das ist das Ergebnis bedingungslosen Gehorsams. Sehr schön zu sehen ist hier die noch existierende Südwand des Turmes, die auch heute noch erhalten ist. Die Westseite des Turmes war vollständig und die Südseite zu großen Teilen weggebombt.

Begibt man sich auf die Nordseite erkennt man sehr gut den Unterschied zwischen den im Original erhaltenen Rundbogenfenstern im Obergaden und den im 19. Jahrhundert im romanischen Stil wiederhergestellten Fenstern im Seitenschiff.

Einen besonderen Blick in die Baugeschichte gibt uns eine kleine Kuriosität. Wenn man hinaufschaut, dorthin, wo der Chor in das Langhaus übergeht, erkennt man, dass der Kreuzbogenfries des Chores in das Langhaus hineinragt und dort abrupt endet. Das Langhaus selbst hat einen eigenen Kreuzbogenfries einige Zentimeter höher. Wie kam dieses offensichtliche Missgeschick zustande? Der Bau der Kirche begann mit dem Chor und der Apsis. Dieser heiligste Bereich wurde zuerst errichtet um in kürzester Zeit einen kleinen Kirchenraum zur Verfügung zu haben, der genutzt werden konnte, während der Rest der Kirche weiter gebaut wurde. Da der Fries des Chores in das Langhaus übergeht, wurde bereits mit dem Chor auch das Langhaus angefangen. Ob es nun einen Baustop gab, dem vielleicht auch einen Planänderung folgte, weiß man nicht. Oft wurde auch nach der Fertigstellung des Chores mit dem Bau des Turmes begonnen und das verbindende Langhaus dazwischengesetzt. Da man davon ausgeht, dass die Bauherren der Klosterkirche von Jerichow auch an diesem Kirchenbau hier beteiligt waren, würde ich letzteres favorisieren. Die Klosterkirche in Jerichow wurde nämlich ebenfalls mit dem Chor begonnen, dem der Turmbau folgte, während das Langhaus den Bau zum Abschluss komplettierte. Hatten sich die Baumeister hier verrechnet, so dass die Höhen am Ende nicht stimmten? War vielleicht ein Querhaus geplant und während des Baus ging das Geld aus? Vielleicht sollten die Fenster des Langhauses auch kleiner angelegt werden und während des Baus traute man sich dann größere Fensteröffnungen zu. Man weiß es einfach nicht.

Wenn man um die Apsis herum geht und aufmerksam die Putzreste betrachtet, kann man noch einzelne Ritzungen entdecken. Und auch hier verläuft unter der Traufe der romanische Bogenfries mit dem Deutschen Band darüber.

Wunderschön romanisch ist die Sakristei an der Chorsüdseite. Während das mittlere Fenster mit den innenliegenden Arkadenbögen sehr gut erhalten ist, sieht man den beiden anderen Fenstern die Jahrhunderte durchaus an.

Und wie romantisch Romanik sein kann sieht man hier.

In den Fensterleibungen der romanischen Fenster im Obergaden haben sich ursprüngliche Bemalungen teilweise sehr gut erhalten.

Die Kirche betritt man nun über das recht schlichte romanische Portal, wobei der kleine Vorbau später angebaut wurde.

Im Inneren der Kirche dominiert der Backstein und die flache Decke. Der Innenraum wirkt sehr klar und geradlinig. Es fehlen jegliche romanische Schmuckelemente, was vielleicht auch daran liegt, dass die Kirche im Laufe der Jahrhunderte mehrfach umgebaut wurde.

So kann ein regelmäßiger Stützenwechsel in der Kirche nicht nachvollzogen werden. Die Arkaden werden zum größten Teil aus rechteckigen Stützen mit einer Art vorgelagerter gemauerter Verblendung getragen. Das Portal wird jedoch von zwei Säulen gerahmt.

Eine kleine Besonderheit gibt es in den beiden Seitenschiffen. Wer außen nach den beiden Nebenabsiden sucht, wird sie nicht finden. Die Nebenabsiden sind nämlich in die Wand eingebaut. Die jeweilige Ostwand der Seitenschiffe ist somit stärker als die Tiefe der Absiden.

Zur Ausstattung der Kirche gehört dieser spätromanische Taufstein. Allerdings stand dieser nicht immer hier, sondern wurde aus einer Kirche in Felgeleben bei Schönebeck/Elbe hierher umgesetzt.

Nun ist die Geschichte einer Kirche kaum von der Geschichte der Stadt in der sie steht zu trennen. Und so kommt man nicht daran vorbei auch von der Burg zu berichten, die zur Zeit des Baus der Kirche ebenfalls hier bestand. Vielleicht war die Burg Sandowe der Grund, weshalb sich hier eine Ansiedlung bildete. So wurde auf dieser Burg eine Urkunde ausgestellt, die den Orten Berlin und Cölln bestimmte Rechte zuteilte. Auch eine Fähre über die Elbe hat es bereits gegeben.

Zwischen Havelberg und Sandau verlief die Grenze zwischen der Mark Brandenburg und dem Erzbistum Magdeburg. Dies gab immer wieder Anlass zu Streitigkeiten unter den Sandau viel zu leiden hatte. Im Jahr 1449 wird Sandau dann endgültig dem Erzbistum Magdeburg zugeschrieben.

Ein Jahr danach erhält der Chor, der ursprünglich wohl auch eine flache Decke hatte, ein Kreuzrippengewölbe.

Im Jahr 1540 tritt der erste evangelische Pfarrer, Johann Hanke, seinen Dienst an. Sandau hat mittlerweile über 200 Einwohner.

Der Dreißigjährige Krieg hinterlässt viele Verwüstungen und Pesttote in der Stadt. Auch die Kirche leidet unter den Plünderungen und Zerstörungen. Unter anderem wird die Orgel zerstört.

An einem Sonntag zwischen Ostern und Pfingsten im Jahr 1695 wütet ein Brand in der Stadt. Bis auf ein Haus und eine Scheune wird alles einschließlich der Kirche ein Opfer der Flammen. Die Stadt scheint nach dem Brand ausgelöscht zu sein. Aber man gibt die Stadt nicht auf. In Anbetracht der Not befreit der Kurfürst die Stadt und seine Bewohner für sieben Jahre von allen Abgaben. Die Straßen werden neu aufgemessen und nach und nach entsteht eine neue Stadt.

Mit den Wiederaufbauarbeiten an der Kirche begann auch die barocke Umgestaltung. Das Kirchenschiff erhält ein Gewölbe und es werden die Glocken, die beim Brand herabgestürzt sind, erneuert. Die neben dem Kreuz im nördlichen Seitenschiff aufgestellten Kapitelle sollen von der ursprünglichen vorbarocken Orgelempore stammen.

1717 wird Sandau Garnisonsstadt.

Während der Befreiungskriege im Mai 1813 liegt eine Kompanie der Lützowschen Jäger bei Sandau. Unter ihnen befindet sich auch Theodor Körner, der dort folgendes Gedicht schreibt:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Mißmut

Als ich bei Sandow lange Zeit die Ufer der Elbe bewachen mußte.

(1813)

Vaterland, du riefst den Sänger,
   Schwelgend in der Tage Glück.
Blutig hassend deine Dränger,
Hielt nicht Lied und Liebe länger
   Seiner Seele Sturm zurück.
Und er brach mit wundem Herzen
   Aus der Freunde schönen Reih'n,
Tauchte in der Trennung Schmerzen –
            Und war dein.

Tränend hat er oft die Blicke
   Zur Vergangenheit gesandt;
Auf des Lieds melod'scher Brücke
Stieg der Geist zum alten Glücke
   In der Liebe goldnes Land.
Ach! er schwärmte nur vergebens,
   Denn der Stunden rohe Hast
Warf ihn in den Lärm des Lebens,
            Sturmgefaßt.

Doch was soll er im Gedränge
   Ohne Schlachten-Morgenrot?
Gib die friedlichen Gesänge
Oder gib des Krieges Strenge:
   Gib mir Lieder oder Tod!
Laß mir der Begeistrung Tränen,
   Laß mir meine Liebesnacht
Oder wirf mein freudig Sehnen
            In die Schlacht!

Um mich donnern die Kanonen,
   Ferne Zimbeln schmettern drein.
Deutschland wirft um seine Kronen;
Und hier soll ich ruhig wohnen
   Und des Stromes Wächter sein?
Soll ich in der Prosa sterben?
   Poesie, du Flammenquell,
Brich nur los mit leuchtendem Verderben,
            Aber schnell!

 

 

Mitte des 19. Jahrhunderts war Ferdinant von Quast als Konservator im Auftrag des Preußischen Königs in Jerichow und Havelberg dabei die Kirchen zu sanieren. Auch Sandau hat er besucht und die Kirche erhielt eine umfassende Schönheitskur. Als Erstes wurden alle barocken Einbauten entfernt. Das Kirchenschiff erhielt wieder eine flache Holzdecke und die Seitenschiffe wurden erneuert. So bekam die Kirche wieder ein weitestgehend romanisches Aussehen.

Während des gesamten Berichtes habe ich außer die eingangs erwähnte Zerstörung im Zweiten Weltkrieg, den Turm unberücksichtigt gelassen. Nach den grauenvollen Tagen im April 1945 diente die Turmruine weit sichtbar als Mahnmal gegen Krieg und Faschismus. Dies hatte durchaus seine Berechtigung. Die Kirche selbst wurde in den 50-er Jahren wiederaufgebaut. In den 70-er Jahren erfolgte dann die Restaurierung des Innenraums der Kirche.

Nach der Wende bot sich nun aber die Gelegenheit den Turm wiederherzustellen. 1996 gründete sich dann der Förderverein zum Wiederaufbau. Für eine kleine Gemeinde ein wahres Mammutprojekt. Und man hat es ihnen auch nicht gerade leicht gemacht. Das Landesdenkmalamt wollte die Ruine erhalten und mittels einer Stahl-Glas-Konstruktion konservieren. Die Pläne der Gemeinde waren aber andere. Die Gemeinde benötigte Räume für ihre Arbeit und so bot es sich an, den Kirchturm dafür zu nutzen. Da es keinen Kompromiss gab, verzichtete man auf Fördermittel aus dem Denkmalschutz und stemmten die Finanzierung aus Spenden. Im August 2002 wurde die Grundsteinlegung gefeiert. Was dann entstanden ist, ist eine Symbiose aus Altem und Neuem sowohl in der Nutzung als auch im Erscheinungsbild.

Das Turmuntergeschoss überragt ein gewaltiges Tonnengewölbe. Nach oben gelangt man dann wahlweise über eine Treppe oder einen Fahrstuhl. Ich bin ja eher ein Verfechter des Althergebrachten. Aber spätestens, wenn es darum geht einen Turm zu erklimmen, werfe ich meine Prinzipien über Bord. Tolle Idee der Fahrstuhl!

Das Gemeindezentrum befindet sich auf drei Etagen, wobei die obere Etage als Galerie gebaut wurde. Hier findet man auch eine kleine Ausstellung zur Geschichte des Ortes nach 1945.

Im obersten Geschoss bietet sich ein toller Blick auf die Glocken.

Noch wesentlich spektakulärer ist dann allerdings der Blick aus dem Fenster in Richtung Havelberger Dom, den man von hier aus sehen kann und natürlich auch in Richtung Westen zur Elbe.

Nun ist gerade dieser Elbblick nicht immer ungetrübt gewesen. Im Juni 2013 trat die Elbe über ihre Ufer und schaffte es bis an den Stadtrand. Ein paar Kilometer südlich bei Fischbeck erregte das Versenken von Schiffen um einen Deichbruch zu schließen bundesweit Aufsehen.

Und mit diesem weiten Blick ins Land schließe ich den Bericht über Sandau und seine Kirche. Besonders dann, wenn am Ende einer Geschichte der weite Bogen den man gespannt hat wieder am Ausgangspunkt ankommt, hat man das Gefühl etwas richtig gemacht zu haben. In diesem Fall hat man vor etwas mehr als 800 Jahren an dieser Stelle eine Kirche gebaut, die der Mittelpunkt einer kleinen Gemeinde wurde. Und genau dieses ist in den letzten Jahren mit dem Aufbau des Turmes wieder entstanden. Somit hat man den ursprünglichen Sinn dieses Gebäudes wieder aufgenommen und ein Zentrum für Begegnung und Austausch geschaffen, wie es keine Ruine hinter Glas je vermocht hätte.