Als ungefähr in der Zeit von 1154 bis 1192 auf Initiative des Magdeburger Erzbischofs Wichmann und Albrecht den Bären Niederländer angeworben wurden, ließen sich wohl einige auch an diesem Fleckchen Erde, direkt an der Elbe nieder. Schon der Name der Siedlung, der seit 1202 als Sconehusen bekannt ist, lässt durch die Endung auf -husen auf niederländische Siedler schließen. Ein weiteres Indiz findet sich im Weihenamen der Kirche selbst. St. Marien und Willebrord. Willebrord ist ein angelsächsischer Missionar, der auch als „Apostel der Friesen“ bekannt ist. Die heutigen Niederlande waren zum damaligen Zeitpunkt ein Teil von Friesland. Und so ist das heutige Schönhausen an der Elbe eine Gründung von Einwanderern.
Als gegen 1190 die Klosterkirche in Jerichow fertiggestellt war, könnten die italienischen Bauleute nach Schönhausen weitergezogen sein. Dafür spricht die Technologie, die sie mitbrachten. Sowohl in Jerichow als auch in Schönhausen begann man den Bau der Kirche am Chor, an welchem direkt die Apsis angebaut wurde. Normalerweise würde man nun an den Chor das Langhaus anbauen, aber schon in Jerichow errichtete man zuerst den Turm und dann schloss man mit dem Langhaus in Richtung Osten zum Chor auf. Dies erfolgte in Schönhausen vermutlich relativ zeitgleich, da der gesamte Bau mit Ausnahme des Turmobergeschosses im gleichen Backsteinformat hergestellt wurde. Direkt am Schnittpunkt von Langhaus und Chor trafen beide Gebäudeabschnitte zusammen. Es entstand eine Baunaht. Was allerdings seltsam erscheint, ist die Änderung der Friesgestaltung. Der Chor weist an der Nahtstelle einen Kreuzbogenfries mit darüberliegenden doppelten Deutschen Band und das Langhaus einen Rautenfries auf. Das deutsche Band wird über die breite Lisene bis an den Rautenfries herangeführt, so dass man annehmen könnte, dass auch vorgesehen war dieses über das Langhaus fortzusetzen.
Noch ein bisschen mysteriöser wird es an der gleichen Stelle auf der Nordseite. Auch hier wird das deutsche Band über die breite Lisene geführt. Aber im Unterschied zur Südseite ist der erste Stein des Rautenfrieses ein gebogener Formstein des Kreuzbogenfrieses. Es scheint so, als wollte man erzwingen, dass der Kreuzbogenfries über das Langhaus fortgesetzt wird.
Der Fries am Obergaden des Langhauses wechselt von Ost nach West vom Rautenfries über einen Kreuzbogenfries zu einem Rautenfries in A-Form. Die A-Form erreichte man, indem man einfach die oberen Schenkel wegließ. Über dem Kreuzbogenfries befindet sich wieder ein Deutsches Band.
Auf der Südseite sind die Friese des Langhauses genau umgekehrt angeordnet. Von Ost nach West zeigt sich zuerst der Rautenfries in A-Form, dann der Kreuzbogenfries und dann der Rautenfries.
Da frage mich doch, warum man diesen Frieswechsel vorgesehen hat. Eine in Schriftform hinterlassene Antwort auf diese Frage gibt es nicht. Also bleibt viel Raum für Erklärungsversuche. Ich stelle mir folgendes vor: Beim Bau begann man mit dem Chor und den daran befindlichen Kreuzbogenfries. Dieser sollte ursprünglich um die gesamte Kirche geführt werden. Etwas verzögert begann dann der Bau des Turmes mit dem Langhaus. Der Chor diente wohl bereits schon als Kirche als der Baumeister auf die Idee kam einen Rautenfries um den Turm und Langhaus zu ziehen. Dies stieß auf nicht sehr viel Gegenliebe beim Auftraggeber. Man fand dann einen Kompromiss indem man am Langhaus eben diesen Frieswechsel vorsah. Soviel zu meiner Fantasie.
Am Mauerwerk der Apsis erkennt man die sog. Riefelungen. Das sind schräg in den Backstein eingeschnittene parallellaufende Rillen. Hierzu gibt es verschiedene Theorien. Die für mich wahrscheinlichste erschließt sich aus der Geschichte des Backsteinbaus. Das Kloster in Jerichow und die Stiftskirche in Beuster sind die ersten Backsteinbauten in Norddeutschland. Bevor sich die Technologie des Backsteinbaus durchsetzen konnte, wurden Kirchen entweder aus Holz oder aus Feldsteinen gebaut. Beim Feldsteinbau war die Herstellung von Hausteinen, also in Form geschlagene Feldsteine, eine recht hochwertige und über Jahrhunderte bewährte Art des Kirchenbaus. Die Steinhauer waren angesehene Fachkräfte auf der Baustelle und wahre Künstler. Nun kam eine neue Technologie. Man mischte einfach Lehm mit Wasser, gab eventuell noch etwas Sand hinzu, gab die Masse in eine Form und trocknete und brannte das Ganze. Die hohe Spezialisierung wie sie beim Behauen der Feldsteine notwendig war, war nicht mehr erforderlich. Die individuelle Herstellung der Hausteine wurde durch die Massenproduktion von Backsteinen ersetzt. Genau wie heute war man neuen Technologien gegenüber oft nicht sehr aufgeschlossen. Gerade den traditionsbewussten Kirchenoberen mag die Massenproduktion und der damit einhergehende Wegfall der Spezialisierung ein ziemlicher Dorn im Auge gewesen sein. Der Backsteinbau wurde gerade in der Übergangszeit als minderwertig angesehen. Um dieser Minderwertigkeit entgegen zu wirken, wurde der Backstein mit der Riefelung versetzt, die sehr stark an die Spuren eines Werkzeugs der Steinhauer erinnert.
Ebenfalls an der Apsis findet man einen in den Backstein geritzten Kreis. Dieser Kreis stellt das Werkmaß, auf dessen Grundlage die Kirche gebaut wurde, dar. Für derartige Einritzungen wurde die Apsis gern genutzt, da diese eine der ersten Bauteile war, die fertiggestellt wurden.
Östlich vom Südportal und an der östlichen Ecklisene befinden sich eingeritzte Sonnenuhren.
Der kleine Anbau auf der Nordseite ist die Sakristei. Diese wurde bereits beim Bau der Kirche vorgesehen. Im Inneren ist die Sakristei tonnengewölbt. Ein für die Romanik typisches Gewölbe.
Der Turm ist als typischer romanischer Westriegel ausgebildet. Die Friese unterteilen den Turm in drei Etagen, wobei auch hier konsequent der Frieswechsel weitergeführt wird. Was man nur mit einem Fernglas erkennen kann, sind die kleinen in den Konsolen der Friese eingearbeiteten Gesichter.
Das Westportal ist eingerahmt und vierfach gestuft mit Formsteinen. Hervorstechend ist der eingearbeitete Rundstab, der auch als Archivolte (im Bogen umlaufend) ausgebildet ist.
Auf der Südseite des Turmes befindet sich ein Fenster, welches ursprünglich eine Tür war. Dies ist deutlich an dem unter dem Fenster zu erkennenden, neuerem Mauerwerk zu sehen. In das Turmobergeschoss kam man ausschließlich über diese Tür, denn an der Turmostwand ist an keiner Stelle ein Zugang über das Langhaus nachweisbar.
Auf dem Foto sind auch längere Schlitze im Mauerwerk zu erkennen. Oft wird angenommen, dass diese Schießscharten darstellen. Nun stelle man sich vor, im 12. Jahrhundert steht im Turm ein Mann mit Pfeil und Bogen und versucht durch diesen Schlitz einen Pfeil abzuschießen. Das dürfte wohl ein ziemlich sinnloses Unterfangen gewesen sein. Tatsächlich sind das Belüftungsschlitze.
Die Schallarkaden hatten im 12. Jahrhundert ebenfalls ein völlig anderes Aussehen. In der Breite entsprachen sie der heutigen Größe, jedoch in der Höhe waren sie etwas kleiner. Zudem waren sie durch eine Mittelstrebe geteilt, auf der zwei Rundbögen aufsaßen. Beispiele für das ursprüngliche Aussehen findet man noch an vielen Dorfkirchen der Umgebung.
In der Nähe des Portals auf der Südseite findet man eine Unmenge an Näpfchen und Rillen. Das Mauerwerk ist förmlich übersäht mit den Relikten tiefsten Glaubens und Aberglaubens.
Das romanische Portal auf der Südseite ist einfach gestuft mit einem umlaufenden Rundstab. Es wirkt wesentlich einfacher als das Westportal.
Nach einer Urkunde wurde die Kirche im Jahr 1212 vom Bischof von Havelberg geweiht. Worauf sich die Weihe bezog war nicht Inhalt der Urkunde. Gerade hier könnte man auch vermuten, dass lediglich der Chor geweiht wurde, da das Langhaus noch nicht fertiggestellt war.
Auch die Urkunde selbst gibt einige Rätsel auf. Sie wurde um das Jahr 1712 im Altar gefunden. Also ziemlich genau 500 Jahre nach der Weihe der Kirche. Zufall? Da genau in dieser Zeit umfangreiche Arbeiten in der Kirche stattfanden, spricht vieles gegen einen Zufall.
Auch innerhalb der Kirche ist die Romanik allgegenwärtig. Die Pfeiler der Rundbogenarkaden haben in einer Reihe verschiedene Querschnitte, gegenüberliegend jedoch immer den gleichen Querschnitt. Von Ost nach West ein Achteck auch Oktogon genannt, ein Kreuzpfeiler, ein Rundpfeiler und ein quadratischer Pfeiler. Auch die Kapitelle unterscheiden sich von Stütze zu Stütze. Ob diesem Stützenwechsel ein tieferer Sinn zugrunde liegt, kann nur vermutet werden.
Der große Chorbogen zwischen dem flachgedeckten Langhaus und dem tonnengewölbten Chorraum wurde durch den barockisierenden Umbau zwar nicht zerstört, aber in seiner Ansicht etwas beeinträchtigt.
Die Fenster des Chores liegen etwas tiefer als die des Langhauses. Durch das Tonnengewölbe des Chores wollte man sicherlich den aufwändigen Einbau von Stichkappen (also kleineren und quer zum Hauptgewölbe liegenden Gewölben über den Fenstern) vermeiden.
Die ehemalige bauzeitliche Priesterpforte befindet sich im Bereich des Anbaus auf der Südseite der Kirche. Da der massive Anbau aus dem 18. Jahrhundert stammt und davor bereits ein Holzbau existierte, war die Pforte über Jahrhunderte keiner Witterung ausgesetzt. Ein umlaufender Rundstab schmückt das zweifachgestufte Portal.
Das Triumphkreuz ist eines der ersten Dinge, die beim Betreten der Kirche ins Auge fallen. Man nimmt an, dass es sich hierbei um eine flämische Arbeit handelt. Anhand der Darstellung des Jesus ist ersichtlich, dass das Kreuz in der Spätromanik entstanden sein muss. Jesus sieht traurig, aber nicht leidend aus. Die Füße sind nicht übereinandergestellt. Einen klaren Hinweis über die Entstehungszeit gibt eine dendrochronologische Untersuchung, die das verarbeitete Holz auf das Jahr 1236 verortet.
Der Blick in die Romanik endet mit dem Taufstein. Gleichzeitig erlaubt uns diese 800 Jahre alte Taufe einen Sprung in die Zeit des Preußentums. Niemand Geringeres als der spätere Reichskanzler Otto von Bismarck wurde am 15. Mai 1815 hier getauft.
Der erste von Bismarck in der Altmark wurde als Ratsherr in Stendal 1270 urkundlich erwähnt. Sein Nachfahre Jobst von Bismarck wurde nach einem Streit und einem folgenden Gebietstausch 1562 der erste von Bismarck in Schönhausen. Ungefähr zu dieser Zeit ist „Hohen Schönnhausen“ ein Flecken mit 45 Ackerleuten, 60 Kossäten (Kleinbauern), zwei Gotteshausleuten und 4 Ältesten.
Achtzig Jahre später, es tobt der Dreißigjährige Krieg und Valentin Busso von Bismarck diente in der Schwedischen Armee. Als er mit seiner Armee am 23. März 1642 in der Nähe von Schönhausen entlang zog, inspizierte er sein Vaterhaus auf dem Schönhauser Damm. In der Zwischenzeit legten die Soldaten Feuer im Dorf, welches ebenfalls auf die Kirche und das Gutshaus übergriff. Sein Leben lang lässt ihm dieses Ereignis keine Ruhe mehr, was auch auf seinem Epitaph, welches sich in der Kirche befindet, zum Ausdruck kommt.
Bei diesem Dorfbrand, welcher auch die Kirche erfasste, stürzten die Glocken ab und durchschlugen die Gewölbedecke des Turmuntergeschosses. Die Reste des Gewölbes sind noch sehr gut zu erkennen. Durch die Wucht des Absturzes entstanden ebenfalls die Risse im Turm, die außen von dieser sinnlosen Zerstörung zeugen.
Nach dem Dreißigjährigen Krieg wurde das Dorf wiederaufgebaut und der Turm gesichert. Im Turmuntergeschoss wurde eine Gruft eingerichtet. Durch die kleinen Lüftungsschlitze auf der Nordseite des Turmes kann man die dort befindlichen Särge noch erkennen.
Das Dorf Schönhausen ist nach den Kriegswirren auf 14 Ackerleuten und 18 Kossäten geschrumpft.
Nachdem die größten Schäden des Krieges beseitigt waren, begann der Bau des Gutshauses I. Einer der Seitenflügel ist noch erhalten geblieben. In diesem Gebäude befindet sich heute das Bismarck-Museum. Das Gutshaus selbst wurde 1958 gesprengt.
An die Kirche und den Resten des Gutshauses schließt sich die barocke Parkanlage an.
Anfang des 18. Jahrhunderts beginnt die Familie von Bismarck die Kirche im Stil der Zeit umzubauen und einzurichten. Seitdem dominiert ein punkvoller barocker Altaraufsatz den Chor.
Zum romanischen Taufstein gesellt sich ein „moderner“ hölzerner Taufengel.
Die ursprüngliche romanische hölzerne Flachdecke wird abgerissen und das Kirchenmittelschiff erhält eine Spiegeldecke mit Stuckelementen.
Eine der imposantesten barocken Einbauten ist die Herrschaftsloge. Daneben wurden Emporen und eine neue Bestuhlung eingebaut.
Im Jahr 1743 wird auf der Südseite des Chores ein Seitengebäude angebaut. Es wurde zuerst als Leichenhalle benutzt und dient heute als Sakristei. Der vorher vorhandene Holzbau wurde abgerissen.
Schlussendlich wurde auf der obersten Empore am Westgiebel eine Orgel eingebaut. Es handelt sich um eine Schleifladenorgel vom Orgelbauer Gottlieb Scholtze aus Ruppin.
So wie sich die Kirche im Laufe der vergangenen 50 Jahre veränderte, entwickelte sich auch das Dorf Schönhausen. Mittlerweile gab es einen Schmied, sieben Schneider, acht Garnweber, zwei Radmacher und drei Zimmerleute. Es scheinen gute Zeiten gewesen zu sein. Auch dem Adel ging es gut. Das Gutshaus II wurde errichtet.
Ende des 18. Jahrhunderts wurden die Fenster der Seitenschiffe vergrößert. Man erkennt aber noch sehr gut die Reste der alten Fenstereinfassungen.
Im Jahr 1813 lag Schönhausen am westlichsten Zipfel des Preußischen Königreiches. Im Mai dieses Jahres machten die Lützower Jäger in Schönhausen Station. Ludwig Jahn, Theodor Körner, Major von Lützow, Karl Friedrich Friesen und Friedrich von Bismarck nahmen auch an einem Gottesdienst, den Pastor Petri hielt, teil.
Ziemlich genau zwei Jahre später tauft derselbe Pfarrer den späteren Reichskanzler Otto von Bismarck in der Kirche, in welcher die Lützower Jäger, von deren Uniform die deutschen Nationalfarben Schwarz, Rot und Gold abgeleitet wurden, einem Gottesdienst beiwohnten.
Im Jahr 1856 wurde die Kirche umfassend renoviert. Unter anderem wurde auch das Zifferblatt der Kirchturmuhr vergoldet. Die Uhr stammt von einem Schmiedemeister aus Neuermark, der diese, Ende des 18. Jahrhundert herstellte und damit die im Dreißigjährigen Krieg zerstörte Uhr ersetzte.
Im Ersten Weltkrieg fielen einige Zinnpfeifen der Orgel der Waffenproduktion zum Opfer. Auch der Zweite Weltkrieg hinterließ Schäden an der Kirche, unter anderem einen Durchschussschaden am Turm.
Nach dem Krieg wurden die Schäden an der Kirche auch mit Hilfe der Partnergemeinde in Frankfurt am Main beseitigt und die Bodenreform beendet die Ära der Bismarcks in Schönhausen.
Ich finde es immer wieder beeindruckend, wieviel Geschichte hinter solchen, auf den ersten Blick, gewöhnlichen Kirchenmauern steckt. Die wahre Größe offenbart sich immer erst dann, wenn man sich etwas Zeit nimmt und genauer hinschaut. So ist die Dorfkirche in Schönhausen untrennbar mit der Entstehung des Deutschen Staates verbunden.
Erst in den letzten Jahren fanden wieder umfangreiche Sanierungsarbeiten an der Kirche und der Einrichtung statt. Nun erstrahlen die Epitaphe wieder in ihrer alten Pracht. Dem alten Bismarck hätte es wohl gefallen.